Rheinland-Pfalz „Der Wald ist eine emotionale Sache“

Der 600-Seelen-Gemeinde Kesseling im Landkreis Ahrweiler liegt derzeit ein ungewöhnliches Angebot vor. Die Familie Cloppenburg, vertreten durch den langjährigen Jagdpächter, Harro Uwe Cloppenburg und seinen Sohn, will ein Geschäftshaus in bester Bonner Lage gegen einen Teil des Gemeindewaldes tauschen. Das Besondere: Das Gebäude – übrigens keine Filiale des Peek&Cloppenburg-Unternehmens – ist rein finanziell wohl deutlich mehr wert als der Gemeindewald. Julia Luttenberger hat mit Kesselings Ortsbürgermeister Jürgen Flügge über das Angebot geredet.

Herr Flügge, was macht das Gebiet in Kesseling denn so interessant?

Wir sind Rotwildkerngebiet. Das Rotwild ist nun mal das größte einheimische Säugetier. Daneben kommt hier in größeren Mengen Schwarzwild vor, und wir haben Muffelwild, das in den 1930er Jahren hier ausgesetzt wurde. In unserem Bereich gibt es geringes Rehwild, Fuchs und Dachs gibt’s auch. Aber nicht in riesigen Mengen. Wie sieht das Angebot aus, das Herr Cloppenburg Ihrer Gemeinde gemacht hat? Es sieht einen möglichen Tausch von maximal 360 Hektar forstwirtschaftlicher Fläche aus dem Eigentum der Ortsgemeinde gegen eine Gewerbeimmobilie in Bonn vor. Die Gewerbeimmobilie liegt direkt am Bonner Markt, hat vier Gewerbeeinheiten und eine Wohneinheit. Alle Einheiten sind langfristig vermietet. Wäre dann der ganze Kesslinger Wald weg? Nein. Es geht nicht darum, dass der Herr Cloppenburg den ganzen Wald möchte, sondern es geht maximal um 350 Hektar. Insgesamt hat Kesseling rund 860 Hektar. Der wesentliche Teil würde auch bei einem Tausch bei der Ortsgemeinde bleiben. Was bietet er Ihnen dafür? Wir haben das Angebot von unabhängigen Gutachtern schätzen lassen, demnach liegt der Verkehrswert der Immobilie bei 4,6 Millionen Euro. Die jährlichen Mieteinnahmen betragen zurzeit rund 250.000 Euro. Bei Abzug der Betriebskosten beträgt der jährliche Ertrag rund 225.000 Euro. Das ist viel Geld. Wie sieht es denn im Gegenzug mit dem Wald aus? Der Wert der 360 Hektar Forstgrundstücke liegt bei rund 3,75 Millionen Euro. Der jährliche Ertragswert aus Jagdpacht und der Holzwirtschaft liegt bei rund 40.000 Euro. Gibt es schon eine Entscheidung? Nein, es sind noch keinerlei Verhandlungen mit Herrn Cloppenburg geführt worden. Der Gemeinderat lässt das Angebot derzeit prüfen. Wir wollen nicht unter Zeitdruck geraten, das wird alles Step by Step gemacht. Das kann langwierig sein. Sehen Sie das Angebot als Chance? Die wirtschaftliche und rechtliche Gesamtprüfung stehen ja noch aus. Aber wenn man sich die bisherigen nackten Zahlen anschaut, würde dem Haushalt der Ortsgemeinde ein zusätzlicher jährlicher Ertrag von rund 180.000 Euro zufließen. Dies wäre sicherlich für jeden kommunalen Haushalt ein Segen. Das Geld würde zu den Einnahmen aus unserem verbleibenden Wald noch dazu kommen. Die Gewerbeimmobilie könnte neben dem Wald noch ein zweites Standbein eröffnen. Geld können Kommunen ja immer gut gebrauchen. Was könnte Kesseling damit denn so alles anfangen? Die zusätzlichen Erträge könnten der Entschuldung der Ortsgemeinde zugutekommen oder könnten in kulturelle und soziale Projekt oder in die Jugendarbeit fließen. Es könnte die Dorfgemeinschaft stärken und die Jugend im Dorf halten, wenn der Lebensraum zukunftsorientiert gestaltet werden kann. Wir unterliegen vielen infrastrukturellen Maßnahmen, die noch zu schultern sind, ob es jetzt die Brücken oder die Straßen sind. Das wird ja alles nicht besser. Man darf aber eines nicht vergessen: Das Ganze setzt den Willen und die Akzeptanz in der Mehrheit der Bürger von Kesseling voraus. Ob es dann eine Chance ist, weiß man nicht. Wie reagieren denn die Bürger? Sie bieten Sprechstunden an – werden die angenommen? Zu dem Thema haben sich bisher nur vier Leute gemeldet. Also ist Kesseling angesichts so eines ungewöhnlichen Angebots nicht in heller Aufregung? Nein, aus meiner Bewertung her ist das nicht so. Wobei wenige trotzdem laut sein können. Wie läuft es weiter, wenn die Gutachten vorliegen? Die Bevölkerung wird dann informiert, dann soll ein Bürgerentscheid durchgeführt werden. Wie genau muss noch geklärt werden. Der Wald gehört den Bürgerinnen und Bürgern, dann sollen sie auch mitentscheiden. Da gibt es aber große Bedenken, es wird suggeriert, dass der Gemeinderat die Entscheidung schon längst gefällt hätte. Das stimmt aber nicht. Das wäre rechtlich ja gar nicht haltbar. Für die Bürger würde sich bei einem Tausch nichts ändern? Nein. Das Wegerecht wäre davon nicht berührt. Es gibt in Deutschland ein Waldgesetz, das regelt, dass der Wald grundsätzlich für alle frei zugänglich ist, wenn man sich an die entsprechenden Gesetze hält. Da kann keiner einen Zaun bauen und sagen, da darf keiner mehr durch. Also ist das Ganze eher eine wirtschaftliche Überlegung? Ja, aber der Wald ist eine emotionale Sache für die Menschen. Der ein oder andere sagt, der Wald ist für ihn emotional so wichtig, das möchte er nicht. Das ist zu akzeptieren. Es kann jeder seine Meinungsfreiheit nutzen. Ich seh’ das momentan so, dass die Mehrheit der Leute interessiert ist, wie das Angebot letztlich aussieht, in dem Wunsch, darüber mitzubestimmen. Das reine Interesse darf man nicht damit verwechseln, dass sie dem auch zustimmen.

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