Rheinland-Pfalz „Das war die ganz große Freiheit“
Nie wurden in Deutschland mehr Kinder geboren als 1964. Babyboomer werden sie genannt, und viele von ihnen stehen in der Blüte ihrer Berufsjahre. Hape Kerkeling, Jan Josef Liefers oder Silvia Neid feiern in diesem Jahr den 50. Geburtstag. Im rheinland-pfälzischen Kabinett sind die Babyboomer mit Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne) und Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) doppelt vertreten. Mit der Triererin, die am 29. August Geburtstag hat, sprachen wir über das Lebensgefühl der Generation.
1971, mit knapp sieben Jahren ... waren Klassen mit 40 Kindern keine Seltenheit. Erinnern Sie sich noch, wie es damals war, zu lernen? 40 Kinder waren wir mit Sicherheit nicht, vielleicht 33, 34 oder 35. Ich weiß noch, dass ich die ersten beiden Jahre in ein wunderschönes, richtig altes Schulhaus gegangen bin. Das war die Zeit der Mengenlehre. Wir hatten diese Plättchen in unterschiedlichen Farben und Formen. Das ist eine prägende Erinnerung. 1972 schwappte die allgemeine Euphorie über Willy Brandt von den Elternhäusern in die Schulklassen. Haben Sie eine Erinnerung daran? Ich komme aus einem eher konservativen Elternhaus, da konnte sich die Begeisterung nicht unmittelbar übertragen. Die Sympathie für Willy Brandt war mir nicht in die Wiege gelegt, sie ist in mir gewachsen. Aber dass das eine Phase war, in der viel über Politik diskutiert wurde, dass man in die Schule kam, eine Position hatte und darüber redete, daran kann ich mich gut erinnern. Die Jugend der Jahrgänge rund um 1964 war sehr politisch. Die Friedens- und Umweltbewegung erzwang eine Haltung. Fanden Sie damals zur SPD? Natürlich hat uns das damals bewegt. Die erste große Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten 1981 war ein prägendes Erlebnis. Außerdem habe ich mich immer für die Schülerarbeit interessiert, ich war ja mal Landesschülersprecherin. Das zusammengenommen, hat mich dann ziemlich schnell zur SPD gebracht. Später waren es an der Uni ganz viele aus Ihrem Jahrgang. Akademikerarbeitslosigkeit ist ein Wort, das erstmals die Babyboomer hörten. Hat Sie die Angst davor einmal gepackt? Nein, uns prägte ein anderes Lebensgefühl. Wir sahen die Chancen, die damit verbunden waren. Ich bin mit meiner besten Freundin, die ich noch aus der Grundschule kannte, nach Mainz zum Studium gegangen. Es war für uns etwas ganz Besonderes, das war ganz große Freiheit. Wir durften studieren, unsere Eltern haben das nicht gemacht. Die meisten von uns kamen nicht aus Elternhäusern, in denen es schon viele Akademiker gab. Von uns vier Schwestern zu Hause war ich die erste, die studierte. Ich hatte nicht das Gefühl, Angst haben zu müssen, danach keine Arbeit zu finden. Welche Berufswünsche hatten Sie denn früher? War Politikerin zu werden schon das Ziel? Nö. Viele Mädchen in der Grundschule wollten Lehrerin werden. Mir war von uns Schwestern die Rolle zugefallen, mich ein wenig um die technischen Dinge zu kümmern. Das war kein konkretes Berufsziel, aber das hat mir Spaß gemacht. Dann hatte ich eine Weile eine Vorliebe für Mathematik, wollte das auch studieren. Doch kurz bevor es konkret wurde, dachte ich, ich müsse etwas machen, was hilft, die Welt besser zu machen. Dann habe ich mich für die Kombination Politikwissenschaft, Pädagogik und öffentliches Recht entschieden. Eigentlich wollte ich in die Erwachsenbildung. Heute werden junge Menschen bundesweit immer schneller ins Berufsleben getrieben: siehe G8 oder Bachelor-Studiengänge. Sind Sie froh, dass Sie noch mehr Zeit hatten? Ich bin froh, dass ich Zeit hatte, auch ausreichend Zeit hatte. Das habe ich nie überzogen, denn ich hatte immer das Gefühl, dass es nach einer Weile gut ist, dass eine neue Lebensphase beginnt ... Wie lange haben Sie studiert? Zwölf Semester, das war sicher vertretbar, zumal ich dazwischen einmal Asta-Vorsitzende war. (Anm. d. Red. Asta ist der Allgemeine Studierendenausschuss.) Auf die Politik bezogen, nehme ich für mich in Anspruch, dass ich diesen Trend, immer schneller, weiter, höher so nicht mitgemacht habe. Als es um die generelle frühere Einschulung mit fünf Jahren ging, haben wir die Altersgrenze für die Einschulung um zwei Monate verändert. Das war ein maßvoller Weg. Als wir über G8 und G9 diskutierten, sagte ich: „Das sind Kinder, die brauchen gute Strukturen.“ Wenn sie den ganzen Tag in der Schule sind, wenn sie schneller lernen sollen, dann geht das nur mit der Ganztagsschule. Im Übrigen ist das nicht der Weg, den alle gehen müssen. Bachelor und Master sind für mich nicht primär eine Frage der Zeit, sondern eine Frage der europäischen Kompatibilität. Ich hätte es für einen Fehler gehalten, wenn Deutschland sich da in eine Sondersituation gebracht hätte. Beim Renteneintritt der Babyboomer im Jahr 2031 werden für einen Ruheständler 2,2 Erwerbstätige aufkommen müssen. Muss es den Jungen nicht angst und bange werden? Es ist sicher eine der großen Aufgaben der Politik, eine Balance zu finden, dass Menschen gut versorgt sind im Alter. Wenn sie gearbeitet und viel für die Gesellschaft getan haben, muss die Gesellschaft auch dazu stehen, dass diese Menschen im Alter gut leben können. Auf der anderen Seite muss man im Blick haben, dass es ein entsprechendes Angebot für die Jungen gibt. Deshalb sind die bildungspolitischen Anstrengungen so wichtig. Kinder müssen optimal gefördert werden. Moderne Berufsberater geben den Tipp, alle fünf Jahre die Stelle zu wechseln. Sie sind seit 2001 Bildungsministerin. Wann ist für Sie Zeit für Neues? Ich mach diesen Job unglaublich gerne, er war in dieser Funktion auch immer mit Wechseln versehen. Es war schön, dass ich mich ab 2006 wieder um den Bereich der Wissenschaft kümmern durfte. Die Kindertagesstätten waren dabei, die ich 2011 abgegeben habe. Ich habe eine so abwechslungsreiche Aufgabe, dass ich mich wirklich nicht darüber beklagen kann, dass hier Langeweile oder Routine eintreten würde. Ergänzen Sie zum Schluss bitte noch zwei Satzanfänge: Barbie spielte in meiner Kindheit … ... keine besonders große Rolle. Meinem 50. Geburtstag am Freitag sehe ich ... gelassen entgegen.