Ahrtal Unterwegs im Ahrtal: Aufbau, Alltag und Verzweiflung

Um die Nepomukbrücke in Rech entbrannte im Frühjahr ein Streit zwischen Kommunalpolitikern und Denkmalschützern.m
Um die Nepomukbrücke in Rech entbrannte im Frühjahr ein Streit zwischen Kommunalpolitikern und Denkmalschützern.m

Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe radeln wieder Touristen durch das Ahrtal. Die Straßen sind neu, und der Fluss liegt friedlich in seinem Bett. Manche Gebäude strahlen in frischen Farben, an anderen hängen noch die Schlammreste. Dort ist nichts passiert, seit die freiwilligen Fluthelfer im Einsatz waren. Der 51-jährige Ingo Poppelreuter aus Altenburg weiß aus eigener Erfahrung, warum.

In Altenburg ist kaum ein Durchkommen. Wer mit dem Auto zur Ahrtalschule will, muss an geschäftigen Handwerkern vorbei. An einer Baustelle laden sie Material ab, an der anderen parkt ein Lieferwagen. Die Aufschrift springt ins Auge: „Dachdeckermeisterin Claudia Evertz“. Von wegen, Männerdomäne. Ihr junger Mitarbeiter erklärt freundlich den Weg. Ein anderer Mann winkt die Besucher am Lastwagen vorbei. Aufbruchstimmung, Aufbau.

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Die Zerstörung liegt genau zwei Jahre zurück. Die Ahr verwandelte sich am 14. Juli 2021 in einen gewaltigen Strom aus Schlamm, Geröll, Bäumen, Wohnwagen und Gastanks. Binnen acht, neun Stunden zog sie eine Spur der Verwüstung durch das enge Tal. 135 Menschen starben zwischen Dorsel am Oberlauf und Sinzig, wo der Fluss in den Rhein mündet. Mehr als 700 Personen wurden verletzt. Was folgte, war eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft. Neben den organisierten Helfern strömten Tausende Spontanhelfer ins Tal. Sie brachten Wasser und Lebensmittel, halfen die Häuser vom Schlamm zu befreien.

90 Prozent der Gebäude in Altenburg, einem Ortsteil von Altenahr, waren betroffen. Drei Menschen haben die Katastrophe nicht überlebt. Jetzt ähnelt der Ortskern einem Neubaugebiet im weit fortgeschrittenen Stadium. Neben der Schule stehen ein Imbisswagen und zu Cafés umfunktionierte Busse. Pizza, Kaffee, kühle Getränke, die Gastronomen folgen dem Markt.

Dann allerdings hört die Geschäftigkeit auf. Der Schriftzug „Ahrtalschule“ lässt erahnen, wie wuselig und trubelig es dort war, als die rund 200 Kinder und Jugendlichen noch täglich zum Unterricht kamen. Jetzt lernen sie elf Kilometer entfernt in einem Ausweichquartier für die Realschule plus und für die Grundschule.

Zwei Wochen vor Beginn der Sommerferien feiern Kinder, Lehrer und Eltern dort ihr Schulfest. Ingo Poppelreuter wird am Nachmittag hinfahren. Der 51-Jährige ist Hausmeister der beiden Schulen. Das war schon sein Vater. Aber Poppelreuter kümmert sich nicht nur darum, dass im Schulalltag die Dinge laufen. Er hat auch die Schlüssel zur zerstörten Schule, in der sich kaum etwas getan hat. Der Putz ist von den Wänden geklopft, in einem Raum sind rote Stühle gestapelt, auf denen hellbrauner Baustellenstaub liegt.

„Es hängt überall“

Der Gruß des Abschlussjahrgangs 2020 hängt knapp oberhalb der Marke, bis zu der das Wasser stand. „Selbst Corona konnte uns nicht stoppen“, schrieben die Schülerinnen und Schüler, die sich vor drei Jahren auf den Weg ins Leben machten. Ein Jahr später beendete die Ahr vorzeitig das Schuljahr. Zwei Tage später begannen die regulären Sommerferien.

„Mir geht das alles viel zu langsam, egal wo. Ob das hier auf der Arbeit ist oder privat. Es hängt ja überall“, sagt Poppelreuter. Ganz so pessimistisch ist der Verbandsbürgermeister von Altenahr, Dominik Gieler (CDU), nicht. Für die Grundschule sei Anfang Juli Bauantrag gestellt worden, jener für die Realschule plus soll in wenigen Tagen folgen. Außerdem haben die Abrissarbeiten in der Turnhalle begonnen.

Tatsächlich, als Poppelreuter die Tür zur Sporthalle öffnet, in der zwar kein Boden mehr ist, aber noch die Turnseile von der Decke hängen, sind Männer in weißen Ganzkörperanzügen zu sehen, die dort, wo einst Geräte standen oder die Umkleidekabinen waren, Asbest entsorgen.

In seinem Privathaus geht dagegen gar nichts voran, sagt der Altenburger. Seit zwei Jahren streitet er mit der Versicherung, die nur eine Instandsetzung zahlen will. Wegen des ausgelaufenen Heizöls sei das aber nicht möglich, sagt Poppelreuter. Das Haus müsse abgerissen und neu gebaut werden. Das sei nicht nur seine Meinung, das sei außerdem das Ergebnis eines Gutachtens. Doch die Versicherung stelle sich quer.

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Nicht alle waren versichert

Von Anfang an zeichnete sich ab, dass es große Unterschiede gibt, wie Versicherungen mit den Schadensfällen umgehen. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft rühmte sich mit Blick auf den zweiten Jahrestag, allen Betroffenen zumindest einen Teil des Geldes für die entstandenen Schäden ausgezahlt zu haben. 6,7 Milliarden Euro seien bereits verteilt worden, der Gesamtschaden für die Versicherungen liege bei 8,4 Milliarden Euro. Aber was sagen schon die Zahlen über die Schicksale aus.

Nicht alle Hausbesitzer im Ahrtal waren versichert. Für diese Betroffenen, vor allem aber für den Wiederaufbau der Infrastruktur haben Bund und Länder einen Wiederaufbaufonds über 30 Milliarden Euro aufgelegt. Etwa die Hälfte ist für die Flutgebiete in Nordrhein-Westfalen vorgesehen, die andere für Rheinland-Pfalz. Neben dem Ahrtal waren fünf weitere Landkreise und die Stadt Trier von immensen Hochwasserschäden betroffen.

Rund 100 Brücken zerstört

Die Straßen im Tal sind zum beträchtlichen Teil neu gebaut. Die vielen Baustellenampeln, die noch vor einem Jahr die Fahrt zwischen Altenahr und Bad Neuenahr verlangsamten, sind weitgehend verschwunden, der Schotter ist Asphaltdecken gewichen. Brücken sind zum Teil als Provisorien aufgebaut, von anderen stehen noch Reste. Die Flut, die in Altenahr bis zu zehn Meter hoch war, zerstörte rund 100 Brücken.

Um die Nepomukbrücke in Rech, eine 300 Jahre alte Bogenbrücke, entbrannte im Frühjahr ein Streit zwischen Kommunalpolitikern und Denkmalschützern, der bundesweit Aufsehen erregte. Im April 2023 warf der Ortsbürgermeister das Handtuch. Vergangene Woche ist die Figur des Nepomuk abgebaut worden, damit ist die Entscheidung klar. Die Wasserwirtschaftsbehörde würde keinem Wiederaufbau zustimmen, sagt Verbandsbürgermeister Gieler und führt das Ergebnis eines hydrologischen Gutachtens an. Bei Hochwasser wieder zu einer Aufstauung an der Brücke kommen: „Im schlimmsten Fall bis zu 1,50 Meter, im günstigsten Fall um fünf Zentimeter. Wenn Sie im Keller sind und bis zur Kellerdecke noch drei Zentimeter haben, sind fünf zu viel.“

Es sind auffallend viele Radfahrer im Tal unterwegs, Urlauber augenscheinlich. Die Straße zwischen Altenahr und Bad Neuenahr-Ahrweiler verläuft über etliche Kilometer neben der Ahr. Der Fluss ist an manchen Stellen idyllisch, insgesamt zumindest friedlich und unspektakulär. Der Pegelstand liegt bei maximal 70 Zentimetern. Die Passanten kommen jedoch auch an der Bebauung im Tal vorbei. Und das ist eine bizarre Mischung: Manche Gebäude strahlen in frischen Farben, manche werden gerade wieder aufgebaut und an anderen sind alle Öffnungen verbarrikadiert, unter den Fenstern sind Schlammreste zu sehen. Spuren der Aufräumarbeiten mit den vielen freiwilligen Helfern.

Für die Menschen im Tal ist wichtig, dass der Tourismus wieder anläuft. Er ist einer der größten wirtschaftlichen Standbeine der Region, die für guten – und hochpreisigen Rotwein bekannt ist. In Altenahr sind beispielsweise die gehobenen Hotels „Ruland“ und „Zur Post“ wieder geöffnet. Am markanten Bahnhof der Gemeinde behelfen sich die Wirte der „Taverna“ mit einem Imbisswagen, bis sie das denkmalgeschützte Gebäude wieder aufbauen und nutzen können. Griechische Spezialitäten sind im Angebot, Currywurst und Pommes ebenso.

Dixi-Klos als Toiletten

Eine Gruppe Motorradfahrer hält zum Mittagessen, auch andere Ahrtalbesucher sitzen unter den gelben Sonnenschirmen. Es ist eine entspannte Atmosphäre voller Provisorien: als Toiletten dienen zwei Dixi-Klos.

Immerhin ist auf dem Bahnhofsgebäude schon eine der neuen und modernen Sirene installiert. Vor künftigen Hochwassern sollen die Menschen im Ahrtal gewarnt werden. Dass sie im Schlaf überrascht werden, soll nie mehr passieren. Die Sirenen kommen 72 Stunden ohne Strom aus und können für Durchsagen genutzt werden. Was unter den Kommunen nach den Worten von Dominik Gieler noch umstritten ist, ist die Frage, ab wann gewarnt wird, ab welchen Regenmengen, zum Beispiel. Vor einigen Wochen habe die Kreisverwaltung schon den Schulbetrieb aus Sorge vor einem Hochwasser eingestellt, während einzelne Gemeinden nicht einmal Warnmeldungen herausgegeben hätten. „Wir sind gut vorbereitet und gehen zusammen mit der freiwilligen Feuerwehr sensibel mit dem Thema um“, sagt Gieler.

Wie groß ist die Angst von Ingo Poppelreuter, dass die Ahr noch einmal so viel Zerstörung anrichten könnte? Nicht vorhanden – Angst vor einer neuen Katastrophe habe er persönlich nicht. Aber es gebe viele Menschen in seiner Umgebung, die sehr sensibel auf Regen reagierten. „Auf meinem Dach hört man schon auch jeden Tropfen“, sagt Poppelreuter. In Sichtweite der Ahrtalschule steht sein provisorisches Zuhause. Es ist eines der beiden Tiny-Häuser, die auf einem leeren Grundstück errichtet wurden. Die Holzhäuser sehen putzig aus mit der kleinen Veranda. „Für’n Urlaub wäre es ganz schön“, sagt der Mann und lächelt ein wenig bitter.

Das Hotel Ruland in Altenahr ist rausgeputzt und wieder in Betrieb.
Das Hotel Ruland in Altenahr ist rausgeputzt und wieder in Betrieb.
Ingo Poppelreuter, Hausmeister an der Ahrtalschule, steht vor seinem Tiny-Haus.
Ingo Poppelreuter, Hausmeister an der Ahrtalschule, steht vor seinem Tiny-Haus.
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