Rheinpfalz Saulheim: Schach-Supertalent mit 13 Jahren

Er ist erst 13 und doch schon in aller Munde – zumindest in der Schachwelt. Die Rede ist von Vincent Keyer aus Saulheim bei Mainz. Er gilt als das deutsche Talent schlechthin.

Vincent Keymer ist ein eher ruhiger Typ. Und doch hat der 13-Jährige aus Saulheim bei Mainz schon für mächtig Aufsehen gesorgt - in der Schachwelt. Zuletzt gewann er sensationell die Grenke Chess Open in Karlsruhe, das europaweit größte Turnier. Dabei besiegte Keymer gleich mehrere Großmeister, also Turnierschachspieler, die den höchsten vom Weltschachverband zu verleihenden Titel inne haben. Für manche gilt Keymer als das Schachtalent schlechthin in Deutschland und darüber hinaus.

Sieg „total unerwartet“

„Da mache ich mir nicht so Gedanken drüber“, sagt der Junge mit den braunen Haaren und tiefbraunen Augen. Er wirkt auch nach dem jüngsten Triumph gänzlich unaufgeregt, so wie er sich auch während der Spiele am Brett gibt. Seinen Sieg in Karlsruhe bezeichnet er als „total unerwartet“. Dass er teilweise schon als Timo Boll des Schachs bezeichnet wird, also als deutsches Aushängeschild seines Sports? „Da denke ich nicht drüber nach.“ Der 13-Jährige kommt aus keiner typischen Schachfamilie. „Wir sind vor allem eine Musikerfamilie“, sagt Vincent. Sein Vater ist klassischer Pianist, seine Mutter Cellistin im Philharmonischen Staatsorchester Mainz. Vincent selbst spielt Klavier, seine Schwester Cecilia ebenfalls Cello. Auch die Zehnjährige spielt mittlerweile Schach, ist in ihrer Altersklasse Rheinland-Pfalz-Meister und qualifiziert für die deutschen Meisterschaften.

Angefangen beim Verein in Wörrstadt

Wie also kam die Begeisterung für das uralte Spiel? „Eigentlich habe ich nur mal ein Schachbrett gesehen und wollte wissen, was das ist“, erinnert er sich. Mit fünf Jahren sei er mal alleine mit seiner Mutter zuhause gewesen. „Ich war wach und habe meine Mutter um sieben Uhr morgens aus dem Bett geschmissen und gesagt, sie soll mir jetzt erklären, wie das geht.“ Einige Partien gegen die Eltern später war klar, dass Vincent verdammt gut ist. Sein Vater Christof erinnert sich: „Nach zwei, drei Monaten waren wir raus aus dem Geschäft.“ Für Vincent ging es damit erst los, zunächst bei einem Verein in Wörrstadt, später kamen mehr und mehr Training und Turniere dazu. Inzwischen spielt er in der Bundesliga für die Schachfreunde Deizisau, tourt mit ihnen zu Wettkämpfen in ganz Deutschland. Und er reist zu zahlreichen Schachturnieren ins Ausland, bis nach Südafrika. Viel Koordination erfordere das, sagt Vater Christof.

Sympathische Untertreibung

„Ich habe schnell gemerkt, dass es Spaß macht. Und es ist schön, wenn man sieht, dass es ganz gut läuft“, sagt Vincent rückblickend. Eine sympathische Untertreibung, könnte er nun als Sieger von Karlsruhe doch sogar gegen den amtierenden Schachweltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen antreten, der gerade eine enorme Schachbegeisterung in seiner skandinavischen Heimat ausgelöst hat. Das Schachspiel bringe immer neue Sachen, sagt Vincent. „Es ist sehr kompliziert.“ Man müsse improvisieren, austricksen, aufpassen, kontern. Wenn er das sagt, klingt er so gar nicht nach einem 13-Jährigen. Auch nicht, wenn er über einzelne seiner Partien spricht - so etwa in einem Video, in dem er auf Englisch seine letzte Runde in Karlsruhe gegen den Ungarn Richart Rapport analysiert. Er spricht an einer Stelle von wenigen verbliebenen Optionen, an anderer von einer wichtigen Idee, die ihm den Sieg gebracht habe. Flink stellt er die Konstellationen auf dem Brett nach. In einem Interview nach dem Sieg redet Vincent vom Figurenopfer, dem angebotenen Remis des Gegners.

Ab fünf Stunden wird es kritisch

Wahrgenommen wird er ohnehin von seinen Gegnern längst nicht mehr als 13-Jähriger. „Beim ersten richtig guten Turnier, das war in Neustadt, hatte ich noch den Bonus des Kleinen“, erinnert er sich. Danach habe sich das verändert. „Ich merke, manche spielen gegen mich alles, gewinnen vielleicht gerade so und sind dann so müde, dass sie den Rest verlieren.“ Auch für ihn mache der besondere Ehrgeiz der Gegner es nicht gerade leichter. Vincent ist sich seiner Grenzen bewusst - etwa bei langen Spielen. „Ab fünf Stunden beginnt die kritische Grenze, ab dann ist beißen angesagt“, sagt er. Deswegen genügt reines Schachtraining nicht, auch wenn das allein an normalen Schultagen etwa drei Stunden ausmacht, an manchen mit Trainern sogar sieben bis acht Stunden. „Die körperliche Form ist wichtig, man braucht Fitness“, erklärt der 13-Jährige.

Langer Weg bis zum Schachprofi

Ein Vorbild hat Keymer nicht. Er schaue sich Spielzüge und Strategien anderer an, ein bestimmtes Idol gebe es aber nicht. Er möchte gerne Schachprofi werden, doch bis dahin ist es noch ein langer Weg, wie auch der Präsident des Deutschen Schachbundes, Ullrich Krause, betont. „Das deutsche Schach wartet seit langem auf einen absoluten Spitzenspieler, der auch außerhalb der Schachkreise wahrgenommen wird. Ob Vincent Keymer diese Rolle ausfüllen kann, wird man sehen.“ Der Verband werde ihn auf jeden Fall nach Kräften unterstützen. Auch Vincent ist sich sehr wohl bewusst, dass noch ein steiniger Weg vor ihm liegt. „Viele Großmeister sagen, so richtig wichtig wird es im Alter von 18 bis 20“, sagt er. Einen Plan B hat er abseits des Schachspiels noch nicht. „Er ist ja auch erst 13“, sagt sein Vater. Mit seinem Sponsor sei vereinbart, dass Vincent jederzeit aussteigen könne. „Es bleibt immer seine Entscheidung. Wenn er nicht mehr will, macht er nicht weiter“, sagt Christof Keymer. Das sei ein Luxus im Vergleich zu anderen jungen Spielern zum Beispiel aus Indien. „Für viele ist Schachspielen die Chance, die sie haben. Sie müssen, es hängt vielleicht die ganze Familie daran.“

Bei Kumpels ist Schach kein Thema

Und was macht das Schach-Supertalent abseits des Spielbretts? Früher hat er mal Fußball und Handball gespielt, das ist inzwischen zeitlich schlicht nicht mehr machbar. „Ich fahre am liebsten Fahrrad“, sagt er. Auch treffe er sich gerne mit Freunden in seiner Heimat Saulheim. Dort sei Schach dann kein Thema, denn von seinen Kumpels spiele das sonst eigentlich keiner. Auf die Frage, wie er sich selbst als Typ so sieht, kommt die Antwort: „normal.“

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