Kultur Musikalische Verführung

Ihr Ruf als eine der schillerndsten jungen Pianistinnen der Gegenwart eilt ihr voraus. Bei ihrem jüngsten Auftritt im Rosengarten ließ Khatia Buniatishvili nicht nur ihre Muskeln als Tastenlöwin spielen, sondern auch ihre Seele zu Wort kommen. Begleitet wurde sie dabei von hochkarätigen Gästen aus Frankreich, dem „Orchestre national de Lyon“ unter Leitung ihres Ehrendirigenten Leonard Slatkin.

Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert und Khatia Buniatishvili – eine explosive Kombination, ein geballtes Aufeinanderstoßen von in Töne geballter Leidenschaft und einer „jungen Wilden“, die bekannt und berüchtigt ist für ihre elektrisierende sinnliche Präsenz. There ist no business like showbusiness? Wie sie mit ruckartig herrischer Geste ihren Kopf samt schwarzer Locken zurückwirft, wie ihr in Hochspannung befindlicher, biegsamer Körper immer wieder die Sitzfläche verlässt, wie sie im Rausch der Klänge regelrecht abzuheben scheint – in der Tat: Der Schaueffekt fürs Auge ist zwingend. Natürlich provoziert die starke Emotionalität bei Rachmaninoff die Neigung zur Selbstdarstellung und natürlich unterliegt dessen Musik immer der Gefahr, ins gar zu Sentimentale abzugleiten. Hollywood lässt grüßen: Man erinnert sich an die sich am Flügel räkelnde Marilyn Monroe, die sich in dem Film „Das verflixte 7. Jahr“ zu Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert verführen lässt. Diesmal ist Khatia Bunitishvili die große Verführerin. Aber sie tut es auf eine derart überzeugende, letztlich natürliche Art, die dem Publikum einen Gänsehautschauer nach dem anderen bereitet. Dabei sind ihre kaum für möglich gehaltenen Temposteigerungen ebenso atemberaubend wie ihr zuweilen fast ins Unhörbare gleitendes Innehalten. Es ist das Spiel mit starken Kontrasten, der rasche Wechsel von ungezügelten Temperamentsausbrüchen und beruhigender Sanftheit. Das Publikum im Rosengarten feiert seinen Star, erzwingt zwei Zugaben: leise, still atmende, überirdisch schöne Poesie in ihrem Lieblingsstück „Claire de lune“ von Debussy, donnernde Tastenartistik in der legendären, technisch ins irrwitzige gesteigerte Horowitz-Fassung der zweiten Rhapsodie von Liszt. Dirigent Leonard Slatkin vermittelt wunderbar zwischen der zuweilen zügellosen Leidenschaft der Solistin und seinem kultiviert und klanglich herrlich elegant artikulierenden „Orchestre national de Lyon“. Seine Visitenkarte als eines der besten europäischen Klangkörper gibt das in Mannheim mit nahezu 100 Musikerinnen und Musikern angetretene Orchester mit Ravels Suiten-Sammlung „Le Tombeau de Couperin“ ab. Der Orchesterzyklus ist unter dem Eindruck der Schrecken des 1. Weltkriegs entstanden. Jedes der darin enthaltenen Stücke ist einem Gefallenen gewidmet. Trotz des düsteren Hintergrunds zelebriert das Orchester keine traurige Gedenkmusik, sondern spürt vor allem die heiteren Seiten auf, lässt das Prélude fröhlich dahinplätschern, derweil die flotten Rhythmen der Forlane heitere Sorglosigkeit versprühen und das Rigaudon als freudiger Tanz vorgestellt wird. Ebenso stimmig präsentiert das Orchester die berühmten „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorsky in der Ravel’schen Fassung. Slatkin bietet eine komplexe Darstellung der vielschichtigen Gefühlszustände, die hinter den zehn Bildern des Malers Victor Hartmann und deren Vertonungen durch Mussorgsky stecken. Am Ende löst sich die eher zurückhaltende Bescheidenheit des Dirigenten in großes Kino auf: Einen Vorgeschmack auf das nächste Silvesterkonzert geben die Franzosen mit der beschwingten Wiedergabe von Jaques Offenbachs legendärer Can-Can-Tanznummer, wenn Slatkin seinem Orchester den Rücken kehrt und stattdessen das auf Kommando mitklatschende Publikum unter seine Fittiche nimmt.

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