Zweibrücken Zweibrücken: Verbrechen gegen Juden nicht gesühnt

Über hundert Zuhörer verfolgten die ernste Diskussion im Schloss. Auf dem Podium von links der Präsident des Oberlandesgerichts
Über hundert Zuhörer verfolgten die ernste Diskussion im Schloss. Auf dem Podium von links der Präsident des Oberlandesgerichts Bernhard Thurn, Stadthistorikerin Charlotte Glück, Generalstaatsanwalt Martin Graßhoff sowie mit dem Rücken zum Fotografen: Walter Rummel, Chef des Landesarchivs Speyer.

Auch und gerade in Zweibrücken wurden Mitbürger jüdischen Glaubens zwischen 1933 und 1945 verfolgt, vertrieben und in Konzentrationslager gebracht und dort getötet. Am Freitag Abend im Schloss blieb die ernüchternde Erkenntnis, dass die Verantwortlichen für die Taten nicht ermittelt wurden und das einzige Verfahren 1951 mit einem Freispruch endete.

Zum 80. Mal jährte sich von Freitag auf Samstag die Reichspogromnacht, die Historiker als Auftakt der systematischen Vernichtung der deutschen Juden bezeichnen. Mit den Ereignissen der Novembertage 1938 und deren juristischer Aufarbeitung befasste sich am Freitagabend eine Podiumsdiskussion im Zweibrücker Schloss. Die Zweibrücker Justiz hatte zur Podiumsdiskussion ins Schloss eingeladen – im Anschluss an die Gedenkveranstaltung in der Innenstadt. Die Juristen Oberlandgerichts-Präsident Bernhard Thurn und Generalstaatsanwalt Martin Graßhoff sowie die Historiker Charlotte Glück, Leiterin des Zweibrücker Stadtarchivs, und Walter Rummel, Chef des Landesarchivs Speyer, blickten auf die Ereignisse vor 80 Jahren. „Menschen, die danebenstehen und die anderen gewähren lassen, haben dies möglich gemacht. Auch die Justiz hat danebengestanden. Sie hat sich zum Handlanger des Regimes entwickelt“, schickte Thurn voraus. Er beschrieb die Justiz der Weimarer Republik als einen politisch rechts der Mitte stehenden, funktionierenden Apparat. Der angesichts von Einstellungsstopp und vieler junger, arbeitsloser Juristen drohende Verlust des sozialen Status habe zu einer Entfremdung vom demokratischen Staat geführt. Nach der Machtübernahme hätten die Nationalsozialisten rasch personelle und strukturelle Änderungen vorgenommen. In der Reichspogromnacht - „der entscheidende Schritt von der Vertreibung zur systematischen Vernichtung der Juden“, sagte Rummel – war die deutsche Justiz bereits gleichgeschaltet. „Es war eine Veraktung der Vorgänge, mehr war es nicht. Es gibt keine Ermittlungsberichte“, sagte Graßhoff mit Blick auf die Justizakten aus den 1930er Jahren. Der Generalstaatsanwalt sprach von einem „ganz perfiden“ Vorgehen: „Selbst wenn die Täter hätten ermittelt werden können, hätten die Verfahren eingestellt werden müssen“, bemerkte er. Die von höchster Stelle angeordneten Aktionen gegen Juden seien legalisiert worden, eine Rechtswidrigkeit hätte nicht nachgewiesen werden können. Auch nach dem Krieg sei es zu keinen Verfahren gegen unmittelbar Handelnde gekommen, bemerkte Graßhoff. Lediglich ein möglicher mittelbarer Täter, ein Obersturmbannführer der SS, der den Befehl zur Brandlegung in der Synagoge gegeben haben soll, musste sich vor in Zweibrücken vor Gericht verantworten. Obwohl in der Verhandlung 47 Zeugen gehört worden seien, habe dem Mann eine Beteiligung nicht nachgewiesen werden können. Die Große Strafkammer des Landgerichts habe ihn am 16. Januar 1951 freigesprochen. „Nach der Aktenlage gibt es daran nichts zu beanstanden“, sagte Thurn. „Es gab auch nichts, auf das hätte zurückgegriffen werden können“, antwortete Graßhoff auf eine Frage aus dem Publikum, ob überhaupt der Wille dagewesen sei, nach weiteren Zeugen zu suchen. „Die Forschung ist möglich, die Akten sind frei“, sagte Rummel, der auf neue Impulse hofft. Das Studium der jetzt zugänglichen Akten sorge etwa dafür, dass Menschen in einem neuen Licht erscheinen. Ein Beispiel ist der Fall Heinrich Welsch. Der Jurist wirkte von 1934 und 1935 als Gestapo-Chef in Trier und sollte vor dem Saar-Anschluss Hilter-Gegner im angrenzenden Saarland ausspionieren. 1936 wurde er Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht in Zweibrücken, parallel dazu von 1940 bis 1945 Leiter der deutschen Justiz in Lothringen. In dieser Funktion soll er sich gegen die Verbringung des späteren EU-Gründungsvaters Robert Schumann in ein Konzentrationslager ausgesprochen haben. Wegen dieses Einsatzes wurde Welsch bei der Entnazifizierung als Hitler-Gegner eingestuft und entlastet. Das ermöglichte seinen raschen Aufstieg bis zum saarländischen Ministerpräsidenten in einer zweimonatigen Übergangsregierung 1955. Welsch wurde 1961 zum ersten Ehrensenator der Universität Saarbrücken ernannt und erhielt das Bundesverdienstkreuz. Erst 2015, nach dem Fund von 3500 Gestapo-Akten in einem französischen Archiv wurde die NS-Vergangenheit von Welsch aufgearbeitet. Im Juli wurde ihm die Ehrensenatorwürde aberkannt. Nach 1949 – die Bundesrepublik war wieder ein souveräner Staat – sei das Interesse an einer Strafverfolgung der Täter abgeklungen, räumte Thurn ein. Schon 1954 habe es sich bei 74 Prozent aller Mitarbeiter des Amtsgerichts um Personen gehandelt, die auch vor 1945 in der Justiz tätig gewesen seien, beim Landgericht seien es 68, beim Oberlandesgericht sogar 88 Prozent gewesen. Glück hofft auf eine gründliche Aufarbeitung und neue Erkenntnisse. „Das heute ist ein Anfang“, sagte sie zu der Veranstaltung der Zweibrücker Justiz. „Wir müssen viele Fälle auswerten. Dann zeigt sich, ob sich das Bild, das wir im Kopf haben, bestätigen lässt.“ Seite 2

Im Schloss sind auch Original-Akten aus der NS-Zeit und den Nachkriegsjahren ausgestellt.
Im Schloss sind auch Original-Akten aus der NS-Zeit und den Nachkriegsjahren ausgestellt.
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