Zweibrücken Er weiß: Es gibt nichts, was es nicht gibt

Wenn Eberhard Bayer „Tatort“ schaut, muss er sich zusammenreißen. Nicht, weil’s so spannend wäre, sondern weil vieles nicht stimmt: Wie die Ermittler mit einem Anruf raus haben, mit wem der Verdächtige zuletzt telefonierte − wo es doch einen richterlichen Beschluss braucht, um die Handydaten zu bekommen. Wie der Staatsanwalt sein Büro Tür an Tür mit der Kripo hat − obwohl sie doch in getrennten Behörden arbeiten. Bayer muss es wissen: Nach 37 Jahren im Dienst der Justiz geht der Chef der Zweibrücker Staatsanwaltschaft zum 1. Juni in Ruhestand.

„Ob ich ein guter Behördenleiter war, kann ich selbst nicht beurteilen“, gibt sich Bayer bescheiden. Er habe aber stets versucht, der Staatsanwaltschaft „ein menschliches Gesicht zu geben“. Als Leitender Oberstaatsanwalt war er erster Ansprechpartner für die Medien − und erklärte komplizierte Sachverhalte so, dass auch Laien verstanden, was zum Beispiel Mord vom Totschlag abgrenzt. Wobei er sich über seine klare Sprache, die Journalisten so an ihm schätzen, auch schon ärgerte. „Wenn mir der Kragen platzt, kann es sein, dass ich mal richtig Klartext rede. Ist im Fernsehen dann etwas ungünstig“, bleibt ihm ein frühes Interview in Erinnerung. Das Mediengeschäft ist schnelllebiger geworden, Bayer gelassener. Immer wieder erklärte er Presseleuten, dass im wahren Leben nicht alles so schnell geht wie im Fernsehen, und dass er nicht täglich Wasserstandsmeldungen gibt: „Ermittlungsverfahren werden immer noch nicht öffentlich geführt.“ Der gebürtige Zweibrücker wollte nach dem Abitur am Herzog-Wolfgang-Gymnasium („Das plattzumachen war völliger Schwachsinn, das war eine gute Schule“) Medizin studieren, doch seine Noten waren nicht gut genug, um gleich loszulegen. Mit Jura ging’s − „und dann bin ich da so reingekommen und dabeigeblieben“. Das Interesse an der Medizin blieb auch − und hat sich womöglich vererbt: Bayers älteste Tochter hat Medizin studiert, die jüngere Jura. „Man lernt viel menschliches Leid kennen, nicht nur bei Kapitaldelikten“, sagt er über seinen Beruf. „Bei Obduktionen bekommen Sie auch Dinge mit, die nicht so schön sind.“ Eine Zeit wirkte er an Obduktionen von Babys mit, um dem plötzlichen Kindstod auf die Spur zu kommen. Gewalttaten, bei denen Kinder starben oder gar ganze Familien ausgelöscht wurden, bleiben ihm im Gedächtnis. „Sie gehen durch das Haus, Sie sehen die Toten da liegen“, erzählt er von einem Fall in Waldmohr. „Sowas nimmt man mit, das bleibt nicht in den Kleidern hängen.“ Er bedauert: „Psychologen gibt’s für uns nicht“, anders als im Rettungsdienst. Auch auf dem Schreibtisch warten jeden Tag Schicksale. „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, weiß Bayer, nachdem er jahrzehntelang Akten und auch menschliche Abgründe studiert hat. „Je länger man dabei ist, desto mehr hat man das Gefühl, alles mal gesehen zu haben. Aber man wird immer wieder überrascht.“ Berührt haben ihn vor allem Fälle mit jungen Leuten, die aufgrund ihrer Lebensumstände nie eine Chance hatten auf ein geordnetes Leben. „Man muss sich vom Gedanken freimachen, an dieser Situation mit den Mitteln des Strafrechts etwas zu ändern. Wir sind die Letzten in der Kette.“ Auch deshalb findet Bayer Präventionsarbeit wichtig. „Kinder werden heute zu oft in Watte gepackt, aber sie müssen lernen, mit Frustration umzugehen.“ Bayer ahndete viele Jahre lang Vergehen, die mit Betäubungsmitteln zu tun haben − was ihm besonders viel Spaß machte, „weil man da die gesamte Strafprozessordnung, sämtliche Ermittlungsmöglichkeiten anwenden kann“. Und weil man manchmal doch etwas bewegt. „Ich verdanke Ihnen mein Leben“, sagte eine ehemalige Heroinabhängige zu Bayer, als sie ihn bei der Staatsanwaltschaft besuchte. Das Böse in der Welt wird nicht weniger, es kommen jeden Tag neue Fälle auf den Tisch. „Es hat ein bisschen was von Sisyphos. Aber am Fließband kommt auch permanent was nach. Bei uns lernt man, zügig Entscheidungen zu treffen.“ Entscheiden, aber nicht beharren, rät Bayer den Kollegen. „Nicht zu früh auf einen Täter festlegen, denn dann verliert man Dinge aus den Augen, die auf andere hindeuten.“ Was ärgert Bayer rückblickend? Nicht die Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft vor Gericht unterlag: „Ich hab’ auch selbst schon auf Freispruch plädiert. Man darf nicht sklavisch an der Anklage hängen.“ Ihn fuchsen vermeidbare Fehler, etwa als ein Rechtsmediziner schlampig mit einem Thermometer umging, weshalb der Mord an einer Dellfelderin nie aufgeklärt wurde. Am Montag wird Bayer nun von Martin Graßhoff abgelöst. Der Kontakt mit vielen Leuten werde ihm fehlen. Doch daheim wartet Arbeit: „Meine Frau hat schon die eine oder andere Idee“, sagt Bayer lächelnd. Er will zudem seine große Musiksammlung („Von Abba bis ZZ Top, aber keine Volksmusik und kein Freejazz“) erweitern, alte Platten digitalisieren, die selbstgefilmten Familienfeste und Urlaube auf DVD bringen. Und Urlaub machen: Die Île de Ré hat es ihm angetan. „Ich brauch’ keinen Trubel, kein Remmidemmi“, aber er liebt seit Kindertagen das Meer. „Tatort“ wird Bayer mit seiner Frau auch künftig schauen − und sich zusammenreißen. „Mittlerweile seufze ich dann nur noch, sage aber nichts mehr“, erzählt er schmunzelnd.

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