Speyer Jugend fliegt aus

Endlich 18! Endlich selbst über sich bestimmen: Das bedeutete vor allem, den Motorradführerschein zu machen. Und mit dem damals noch hässlich grauen „Lappen“ in der Tasche ging es sehr zum Entsetzen der Eltern gleich für sechs Wochen gen Osten – über Land in die Türkei: Auf einer R 80 GS Enduro von BMW, mit großem Gepäck und dem 90 Kilo schweren Freund hintendrauf. Die Türkei war damals, 1985, noch kaum touristisch erschlossen, und der Anblick einer jungen Blondine, die ihren männlichen Begleiter durch die Gegend chauffiert, sorgte am Bosporus für so manchen Menschenauflauf. Doch das größte Abenteuer galt es auf dem Rückweg zu bestehen. An der türkisch-griechischen Grenze stellte ein gestrenger Beamter den braungebrannten Junghippies in bunten türkischen Jäckchen die Gretchenfrage nach Drogen. „Do you have any drugs?“ Und ein Scherzkeks aus der sechsköpfigen Gruppe antwortete: „If Kamilletee is a drug, then we have drugs“. („Wenn Kamillentee eine Droge ist, dann haben wir Drogen.“) Darauf hatte der Mann nur gewartet. So hieß es: Alles abladen und den Drogenhund ranlassen. Und der schlug bei einer Satteltasche auch noch an. Den Jungrebellen fiel das Herz in die Hose. Wie sich herausstellte, hatte der Grenzer ein Röhrchen mit Drogen hineingleiten lassen, um dem Hund ein Erfolgserlebnis zu verschaffen. So endete die Reise dann doch nicht im Knast, sondern wohlbehalten daheim bei Muttern. reizehn Jahre Schule sind wahrlich genug! Und nach dem Abi direkt in den Urlaub, ist doch klar. Na ja, wenn man nicht schon längst ein einmonatiges Praktikum verabredet hätte. Während die einen schon am Strand liegen, heißt es also erst einmal erleben, was es heißt zu arbeiten. Glücklicherweise hat ein Kumpel denselben Fehler gemacht; mit dem kann es dann mit etwas Verspätung losgehen Richtung ... Ja, wohin eigentlich? Einig ist man sich nur: ein All-inclusive-Urlaub auf Mallorca wird es nicht sein. Das wäre dann doch ein bisschen zu viel Klischee. Favorit ist zunächst Schottland, eine Hütte in den Highlands wäre doch klasse. Tja, da hätte man aber ein bisschen früher planen müssen. Alles schon weg, zu teuer für Praktikanten-Portemonnaies oder zu verranzt, selbst für anspruchslose Abiturienten. Also vielleicht Ägypten: ein bisschen Strand, ein bisschen Kultur. Doch die Mutter des Kumpels hat Bedenken wegen der Sicherheitslage: Der Arabische Frühling ist zwar noch weit weg, aber was soll’s?! Also ab ins Reisebüro, mal schauen, was es da für Last-Minute-Angebote gibt. Der Mann am Computer lächelt optimistisch: „Da habe ich ein Super-Angebot.“ Eine Woche Mallorca all inclusive! Malle??? All inclusive??? Wer sagt denn, dass Abiturienten immer nach Mallorca reisen wollen??? War schön dort. it einem Smartphone mit Fotofunktion wäre das nicht passiert. Aber Ende der 1990er Jahre gab es eben noch keins. Das führte zur Entdeckung ungeahnter Talente. Bei einem mehrere Monate dauernden Aufenthalt in Paris ging einem nach der Schulzeit schnell das Geld aus. Auch und vor allem für Filme, die man damals in die analoge Fotokamera stecken musste. Und das in einer Stadt, die vollgestopft ist mit Kunstwerken. Vor allem das Musée d’Orsay und das Anwesen des Bildhauers Rodin waren so beeindruckend, dass man die Skulpturen und Gemälde nur schlecht alle in die Erinnerungen packen konnte. Bleistift und Papier gab es damals wie heute zum Spottpreis. Also saß man eben in Rodins Garten oder den Hallen des ehemaligen Bahnhofs d’Orsay und kritzelte, bis das, was auf dem Papier landete, der Realität glich. Das ging relativ flott und gut. Die spanischen und japanischen Reisegruppen waren die Straßenkünstler spätestens seit ihrem Besuch von Sacré-Coeur gewöhnt. Direkt vor dieser Kirche stapeln sich die Staffeleien der Freischaffenden. Also stellten sie sich routiniert auch bei Rodin und Co. hinter die unfreiwillige „Künstlerin“, schauten andächtig auf ihr Werk, nickten wissend und boten Geld für diese Erinnerungsstücke. Mit einem Smartphone in der Tasche hätte man die Erfahrung nicht gemacht und erst recht kein Talent entdeckt. Eine Urlaubsgruppe mit lauter 20-Jährigen fällt vielleicht auf Mallorca nicht auf, in der südfranzösischen Provence jedoch schon. Trotzdem musste es dorthin gehen, weil es ein Übernachtungsdomizil mit Tennisplatz sein sollte und sich dort in der Nebensaison eine gute Möglichkeit ergab. Auf der Anlage wurde unsere Gruppe dann kritisch beäugt, und an Tag drei hatte ein anderer (deutscher) Urlauber die passende Gelegenheit gefunden: Wir hatten den Tennisplatz länger belegt, als es uns laut Hausordnung zugestanden hätte, wurden angeschwärzt und von der Rezeption gemaßregelt. Nicht dass ihn jemand anderes hätte nutzen wollen, aber Ordnung muss sein. Alleine und doch nicht alleine: Der erste Urlaub ohne Eltern war dann doch ein halber Familienurlaub. Schließlich waren mein Bruder und mein damals bester Kumpel dabei. Es ging in den Süden Englands, für eine Sprachreise – so etwas macht man ja manchmal als Jugendlicher. Außer dass die Gastfamilie sich wenig für uns interessierte, außer einem tollen London-Trip und außer dem Kennenlernen einiger netter Menschen ist mir vor allem eine Geschichte im Kopf hängen geblieben, nämlich der letzte Tag in der Sprachschule. Wir waren sozusagen der „Kehraus“, das Gebäude erlebte nach uns nämlich seinen Abriss, wie man uns mitteilte. Und so zogen wir nach der letzten Unterrichtsstunde durchs Gebäude und machten unseren Abriss vor dem Abriss, entwendeten so einige Schilder, wie etwa mit der Aufschrift „Fire-Exit“, die wir dann stolz mitnahmen. In einem „richtigen“ Familienurlaub wäre das dann doch undenkbar.

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