Speyer „Fußgängerzone in Hinterhöfen“

Damals wie heute: Die Verkehrsinfrastruktur beschäftigt Speyer. In der Frage, ob die Eisenbahnlinie an den Stadtrand verlegt wird, ist 1974 kein Ausweg sichtbar, Rückschritte werden gar bei der Verfolgung des Ziels, in der Maximilianstraße eine Fußgängerzone einzurichten, gemacht. Sorgen gibt es etwa um die Arbeitsplätze einer Schuhfabrik – die Kommunalpolitik hat es nicht leicht.

Als sensationell wird von vielen der Ausgang der Kommunalwahl empfunden. Die CDU gewinnt gegenüber 1969 zehn Prozentpunkte dazu, wird mit 44 Prozent stärkste Partei und zieht mit 20 Mitgliedern in den Stadtrat ein. Die SPD verliert etwa im gleichen Umfang Stimmen und muss sich in dem von 37 auf 43 Sitze vergrößerten Gremium mit 16 Mandaten begnügen. Zwei Monate später ist auch die Beigeordnetenfrage geklärt. Diese Positionen nehmen künftig entsprechend dem Wahlergebnis drei CDU-Männer ein: Stefan Scherpf, Otto Roller und Hans-Henning Grünwald. „Entscheidung gefallen: Die Hauptstraße wird kein Fußgänger-Paradies“, meldet die RHEINPFALZ am 12. Oktober. Der Stadtrat stimmt einer Verwaltungsvorlage zu, die wohl die Einrichtung von Fußgängerbereichen in der Innenstadt vorsieht, aber ebenso fordert, die Maximilianstraße als eine in beide Richtungen befahrbare Verkehrsachse beizubehalten. Die RHEINPFALZ kommentiert den Beschluss bitter und sarkastisch: „Die Stadtplaner aller Parteien wollen die Autos nicht wie in anderen Städten aus der Innenstadt verdrängen, sie beugen sich dem Moloch Verkehr und gewähren den Fußgängern dort Raum, wo sie ihn ohnehin haben: in Nebenstraßen und Hinterhöfen“. Eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen in der Region wird am 10. Dezember ihrer Bestimmung übergeben. Mit der Fertigstelllung der Autobahnbrücke in Speyer-Nord schließt sich nach einer dreijährigen Bauzeit das pfälzisch-baden-württembergische Autobahnnetz. Viele atmen auf: Jetzt geht es statt über die Umgehung und die alte Rheinbrücke auf kürzerem Weg über den Fluss, ist die jahrelang verlangte schnellere Verbindung in den Süden gegeben. Die 476 Meter lange Brücke kostet 50 Millionen Mark, geplant waren 40 Millionen. Die Sandkastenspiele auf dem Krankenhaus-Sektor gehen munter weiter. Eine Variante: Die Stadt will das für ein neues Krankenhaus schon früher bereitgestellte Gelände an der Schifferstadter Straße dem Orden der Niederbronner Schwestern im Tausch gegen das Areal des jetzigen Vincentius-Krankenhauses überlassen. Sie hat ferner für die Übernahme des Vincentius-Krankenhauses nichts zu bezahlen, „wenn die Schwestern Ende des Jahrzehnts das neue Akut-Krankenhaus übernommen haben“, vereinbaren die zuständigen Stellen. Sie tragen dem Krankenhaus-Zielplan der Landesregierung Rechnung. Die RHEINPFALZ bleibt reserviert: „Wer mag heute noch so recht daran glauben, dass bis zum Jahre 80 in Speyer ein neues Akut-Krankenhaus steht?“ Und die Skeptiker behalten Recht. Ein Gutachten soll klären, inwieweit der Idee der Stadtverwaltung, den Speyerer Bahnhof und die Schienenstrecke an den Stadtrand zu verlegen, Chancen einzuräumen sind. Ein Vergleich zwischen den Kosten dieser Lösung und der nötigen Baumaßnahmen bei einem Verbleib von Trasse und Bahnhof an Ort und Stelle ergebe keinen großen Unterschied, so Stadtbaudirektor Hans Schube. Beides koste um die 100 Millionen Mark. Die Untersuchungen verzögern sich. Die Stadt habe mit diesem Plan die Pflöcke einige Kilometer zu weit gesteckt, wird gemutmaßt. „Zumal sich diese Konzeption mit der Schnellbahn-Idee verschiedener Haltepunkte in der Stadt nur schlecht vertrug“, ist in unserer Zeitung zu lesen. Denkbar sei allenfalls eine begrenzte Tieferlegung der Gleise an der Schützenstraße. Sollte die Bahn zustimmen, so hätte man mit Maximal-Forderungen Minimal-Ergebnisse erzielt. Die Hoffnung erfüllt sich allerdings nicht. Eines aber ist 1974: ein Jahr der Bürger-Initiativen. Mit der Parole „Plätze für die Kinder im Erlich“ wird ein Kinderspielplatz erkämpft. Ein Elternprotest in Speyer-Nord bewirkt den Bau einer zuvor abgelehnten Ampel. Mit der Androhung eines Schulboykotts setzen Eltern der Klosterschule Brandsicherungsmaßnahmen durch. Eltern von Woogbachschülern wehren sich vehement und erfolgreich gegen Schichtunterricht. Nach langem Hin und Her wird ein privates Kinderhaus anerkannt. Das Feuerbachhaus entwickelt sich mit Hilfe von Bürgern zu einem Schmuckstück. Eine andere Initiative macht sich auf Weg, die verfallende Villa Ecarius zu retten.

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