Speyer „Das Leben ist bunt und vielfältig“

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Meinung am Montag: Gottfried Jung ist der Mann mit der längsten Erfahrung und mit der machtvollsten Position im Stadtrat. Am Mittwoch wird der Vorsitzende der CDU-Fraktion 65 Jahre alt. Im Gespräch mit Patrick Seiler blickt er zurück und voraus – und sagt, warum das Denkmal, das er sich gesetzt hat, nicht in Stein gemeißelt ist.

65 Jahre Gottfried Jung, 42 Jahre Stadtratsmitglied: Legen Sie es darauf an, Margarete Boiselle-Vogler zu überholen, die es für die SPD auf 49 Jahre gebracht hat?

Es geht mir nicht darum, einen Rekord aufzustellen. Sicher ist: So lange wie bisher werde ich nicht mehr im Stadtrat bleiben. Was macht es mit einem, viele Jahre für die stärkste Stadtratsfraktion verantwortlich zu sein? Fraktionsvorsitzender bin ich seit 1988, stärkste Fraktion sind wir übrigens erst seit 1999. Na ja, man geht in dieser Rolle sicher mit etwas offeneren Augen durch die Stadt. Das Wichtigste ist, dass man im öffentlichen Leben immer wieder angesprochen wird, dass Anliegen an einen herangetragen werden und Dinge kommentiert werden. Ich finde solche Kontakte angenehm. Dennoch sind Sie nie Berufspolitiker geworden, obwohl Sie Chancen auf Oberbürgermeister- und Landtagswahlkandidaturen hatten – warum nicht? Ich hätte sicher Chancen gehabt, für den Landtag zu kandidieren, über das Thema OB wurde vielleicht geredet, auch in anderen Städten hätte ich Möglichkeiten gehabt. Aber ich bin im Hauptberuf Landesbeamter geblieben und sehe das auch nicht mit einem weinenden Auge: Ich habe im Beruf schöne Betätigungsfelder, in denen ich mich selbst verwirklichen konnte. Das hat mir einerseits als Stadtpolitiker geholfen, und andererseits bin ich in Mainz jemand, der die Verhältnisse vor Ort kennt und der nicht am grünen Tisch entscheiden muss. Speyer als Politiker verlassen wollte ich nie, weil ich mich hier heimisch fühle Geworden ist es eine respektable Karriere als Landesbeamter, davon rund 25 Jahre als CDU-Mann unter einer SPD-Spitze. War dieser Unterschied karrierehemmend? 1990 bin ich der jüngste Abteilungsleiter in einem Landesministerium geworden, heute bin ich der dienstälteste. Ich war also schon in dieser Funktion vor dem Regierungswechsel 1991 und weiß nicht, ob ich es danach geworden wäre. Ich kann allerdings sagen, dass ich von allen vier Ministerinnen, Klaudia Martini, Margit Conrad, Eveline Lemke und Ulrike Höfken, respektiert worden bin und in gutem Einvernehmen meine Arbeit machen konnte. Vier Frauen von SPD und Grünen … Ja, ich bin immer wieder gefragt worden, wie das geht, wenn man vor Ort CDU-Vertreter ist. Ich glaube, dass ich es genau richtig gemacht habe: strikt trennen, nie die Belange vermischen. Hier in Speyer bin ich Vertreter der CDU, in Mainz komplett loyaler Landesbeamter. Wo stimmen Sie eigentlich mit OB Hansjörg Eger die Stadtpolitik ab – daheim oder im Stadthaus? Wir haben keinen Jour-fixe, wir kommunizieren immer nach Bedarf. Das war mit Werner Schineller nicht anders, nur die Kommunikationsmittel haben sich geändert. Zu direkten Gesprächen und Telefonaten kommt immer mehr E-Mail. Vielleicht auch eine Whatsapp-Gruppe? Nein, die habe ich nur im privaten Bereich. Ende September gehen Sie als Ministerialbeamter in Pension: ein Anlass kommunalpolitisch durchzustarten oder eher kürzerzutreten? Für mich fallen jeden Tag drei Stunden Fahrerei nach Mainz und zurück weg, das macht sehr viel aus. Es ist schon eine Belastung, auch wenn es nicht komplett verlorene Zeit ist. Ich will offen lassen, ob ich das durch etwas anderes kompensiere, habe aber nicht die Absicht, nur noch Privatmann zu sein. Mein kommunalpolitisches Engagement behalte ich sicherlich bei, auch meinem beruflichen Thema Kreislaufwirtschaft sage ich nicht ganz Adieu. Ich möchte es wissenschaftlich weiterverfolgen, Fachbeiträge schreiben, bin auch schon für Vorträge gebucht. Und dann ist da noch Ihr neues Amt als Vorsitzender des Dombauvereins – wie lässt sich diese Arbeit an? Sie macht viel Spaß, im Vereinsvorstand herrscht eine angenehme Atmosphäre, vom Teamgeist habe ich ein sehr positives Bild. Als stellvertretender Vorsitzender der rheinland-pfälzischen Fujian-Gesellschaft will ich mich im Ruhestand auch wieder stärker einbringen. Wann und wie erlebt man eigentlich den Privatmann Jung? Das ist in der Tat nicht ganz einfach, ich habe viele Termine und auch viel „Büroarbeit“. Zeit für Hobbys gibt’s eher mal am Wochenende, dann mag ich längere Spaziergänge, fahre Rad, schwimme oder lese Bücher. Wann ist der richtige Zeitpunkt die Fraktion abzugeben? Wer wird als Nachfolger aufgebaut? Das ist zunächst ein internes Thema, wenn die Zeit da ist. Zum Aufbauen eines Nachfolgers kann ich nur sagen, dass ich den Kollegen in der Fraktion durchgängig die Möglichkeit gebe, sich zu profilieren. Macht es eigentlich Spaß im Stadtrat mit sechs oder gefühlt sieben Oppositionsgruppen? Das Leben ist bunt und vielfältig, unterschiedliche Meinungen gehören zu einer Demokratie, und trotzdem kommen wir in aller Regel zu breiten Mehrheiten. Sechs oder sieben sagte ich, weil Ihr Koalitionspartner SPD kaum Möglichkeit auszulassen scheint, sich von der CDU abzusetzen … Ach, das ist seit 2014 eine neue Konstellation, die bisher gut funktioniert hat. Die handelnden Personen können gut miteinander, und deshalb wüsste ich auch nicht, warum es schlechter werden sollte. Dass jede Partei versucht, sich selbst zu profilieren, ist doch klar, wir sind doch nicht gleichgeschaltet. Haben Sie sich eigentlich Ihr politisches Denkmal in Speyer schon gesetzt oder kommt das noch? Die Absicht habe ich nicht. Wir sind in der Fraktion ein Team. Ich will nur meinen bescheidenen Anteil leisten, dass Speyer liebenswert und zukunftsorientiert ist. Da gibt es nichts, was auf mich allein zurückzuführen wäre, aber mein ganz persönliches Engagement galt immer vor allem dem Ziel, dass sich Speyer dem Umwelt- und dem Klimaschutz verpflichtet weiß. Dazu gehörten in den vergangenen Jahren Themen wie Fahrradstadt oder „Speyer 100 Prozent regenerativ“. Der grüne Schwarze werden Sie oft genannt – Sie müssen es doch wissen: Wo kommt zuerst Schwarz-grün: in der Stadt, in Rheinland-Pfalz oder im Bund? In der Stadt und im Land sind Weichenstellungen getroffen, die noch für einige Jahre halten sollten. Im Bund ist nächstes Jahr Wahl, möglicherweise kommt es ja dort zuerst. Ich kann es nicht ausschließen, und ich hätte damit auch kein Problem. Es ist jedenfalls gut, dass es nicht mehr wie früher heißt, diese beiden Parteien seien sich nicht grün …

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