Speyer „Olga“ als absolute Nummer eins

„Olga“ hat „Tyll“ vom Thron gestoßen. Bernhard Schlinks neuer Roman steht in allen vier Speyerer Buchhandlungen auf Platz eins in den Listen der meistverkauften Titel. Schlink erzählt darin über das demütige Leben und die leidenschaftliche Liebe einer starken Frau am Puls der deutschen Geschichte.

Im Roman wird die gebürtige Schlesierin Olga Zeitzeugin des Kaiserreiches, der Nazizeit, der zwei Weltkriege und der Zeit der Studentenrevolten (wir berichteten ausführlich im überregionalen Kulturteil). Als Außenseiterin – Waisenkind, Gehörlose und Liebeskranke – trotzt sie dem Lauf der Geschichte und arrangiert sich, so gut es geht. Das gelingt ihr besser als ihrer großen Liebe Herbert und ihrem gemeinsamen Sohn, die beide an ihrem ungebrochenen Glauben an große Taten und den Fortschritt der Menschheit zugrunde gehen. Mit Olgas Schicksal greift der ehemalige Jura-Professor Schlink die Schuld als eines seiner zentralen Themen als Schriftsteller erneut auf. Mit Schuld beschäftigt sich auch die Grande Dame der irischen Literatur, Edna O’Brien. In ihrem Roman „Die kleinen roten Stühle“ befasst sie sich mit den Nachwehen des Balkan-Konfliktes. Der scheinbar niedliche Titel verweist auf eine Gedenk-Aktion für Kinder, die Opfer des Bosnien-Krieges wurden. Das Buch beginnt mit der Ankunft eines geheimnisvollen und zugleich einnehmenden Fremden in einem kleinen irischen, von Monotonie geplagten Nest. Der Mann, der sich als Heiler ausgibt und Dr. Vlad nennt, gewinnt leicht das Vertrauen der Kleinstadt. Im Nu erobert er zudem die Herzen der dortigen Frauen. Doch der fremde Verführer hat eine Schattenseite, die erst ans Licht kommt, als Dr. Vlad unerwartet verhaftet wird. Er wird als gesuchter Kriegsverbrecher aus dem ehemaligen Jugoslawien enttarnt und vor Gericht gestellt. Die Rache der Angehörigen seiner Kriegsopfer reicht bis in das irische Dorf. O’Briens Hauptfigur Dr. Vlad beruht auf der Gestalt des Serbenführers Radovan Karadžic. Er hatte nach seinen Untaten im Bosnien-Krieg, unter anderem der maßgeblichen Beteiligung am Massaker bei Srebrenica, jahrelang unter einer anderen Identität gelebt, bevor er vor zehn Jahren demaskiert worden war. Die 87 Jahre alte Autorin macht sich auf die Suche nach Schuldbewusstsein, Verletzlichkeit und Reue bei Dr. Vlad. Doch so sehr sie seine Person auch ausleuchtet, ihre Suche ist vergeblich. Dr. Vlads Überzeugung von der eigenen Güte und Unschuld bleibt ungetrübt. Ein außergewöhnliches, literarisch umwerfendes Schauermärchen über die Macht der Verführung und das Fehlen von Selbstzweifeln. In den vergangenen Tagen hat die internationale Schriftstellervereinigung P.E.N. International Edna O’Brien, die in den 1960er Jahren mit der in Irland verbotenen Romantrilogie „The Country Girls“ (Die Fünfzehnjährigen) bekannt geworden war, für ihr Lebenswerk mit dem P.E.N./Nabokov Preis ausgezeichnet. Er wird gemeinsam mit der Vladimir Nabokov Literaturstiftung vergeben und ist mit 50.000 Dollar dotiert.

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