Rhein-Pfalz Kreis Von gefräßigen Pilzen und breiten Krempen

Ludwigshafen. Zauberhaft wird es heute, verspricht uns Förster Volker Westermann, als wir ihn erneut zu einem Waldspaziergang treffen. Auf Baumstümpfe und verwitternde Stämme sollen wir unsere Aufmerksamkeit richten. Dann würden wir die sonderbarsten Gesellen treffen. Sie tragen alle Hut. In bunten Farben und mit breiten Krempen. Na dann, los geht’s .

Am Anfang plappern wir noch munter darauf los. Je tiefer wir jedoch in den Wald stiefeln, desto ruhiger werden wir. Wir sind spät dran heute, es dämmert bereits leicht. Zwischen den Bäumen scheint schon der Nebel zu stehen. Nur hier und da fällt noch ein Sonnenstrahl auf kleine Wasserkügelchen – ein Grashalm funkelt, eine Spinnwebe blitzt. Die Luft ist schwer und würzig. Ein bisschen ist es, als tauchten wir in eine Zauberwelt ein. Und dann stellt uns Volker Westermann auch noch Ohrlöffelstacheling und Eichenwirrling vor. Nein, das sind keine Gnome und keine Hutzelmänner. Schließlich sind wir nicht im Märchen- oder in Ottfried Preußlers Siebengiebelwald. Aber Hut tragen die Wesen da vor uns schon. Und unser Bildungsförster ist der Meinung, dass sie durchaus auch in der Lage sind, wegzuhüpfen. „Pilze sind schwierig einzuordnen. Sie bilden ein eigenes Reich in der Natur“, sagt Westermann. Schon der schwedische Forscher Carl von Linné, der ein Ordnungssystem in das Pflanzen- und Tierreich brachte, verzweifelte an ihnen und packte sie in die Chaosgruppe. „Nachdem Pilze wegen ihrer sesshaften Lebensweise lange den Pflanzen zugeordnet wurden, gelten sie heute aufgrund ihrer physiologischen und genetischen Eigenschaften als etwas Eigenes und enger mit Tieren verwandt. Und vielleicht hüpfen sie Pilzsammlern ja tatsächlich davon ...“ Na, dann schauen wir uns die Hutträger mal genauer an, bevor sie im Dickicht verschwinden. Der Eichenwirrling sieht eigentlich eher starr als beweglich aus – hölzern irgendwie. Er scheint völlig mit dem Eichenstamm, an dem er lebt, verwachsen zu sein. Erst als der Förster uns ein Stück abbricht, sieht man an der Unterseite lamellenförmige Linien. Tatsächlich ein Pilz. „Beliebt bei Pferdebesitzern. Wenn Sie mit dieser ,Schwämmchenseite’ ein Pferd striegeln, will es mit nichts anderem mehr gebürstet werden, sagt man.“ Wir laufen weiter zum nächsten „Baumsiedler“. Die Pilze, die wir uns heute anschauen, besetzen im großen Stil Baumstümpfe. Man kann fast sagen: befallen sie. Hier hat sich nun eine Hallimaschpopulation über einen Kiefernstumpf hergemacht. „In ein paar Jahren ist das Holz zersetzt. Diese Art Pilze wird deshalb in der Waldökologie Destruenten genannt, Zerstörer also.“ Klingt fies, dafür, dass Pilze für den gesunden Waldkreislauf unersetzlich sind: Für neues Leben muss neue Biomasse entstehen. Die Invasion am Baumstumpf ist übrigens nur so ein bisschen Pilzgeplänkel. Originelle Hüte aufsetzen, Sporen streuen, mit Farben spielen. Imponiergehabe. Oder Ablenkungsmanöver? Denn die eigentliche Pilzpower wirkt unterirdisch. Krakenähnlich bohrt sich der Nimmersatt durchs Wurzelwerk. Die Hütchen: Fruchtkörper, deren Anzahl nur ansatzweise erahnen lässt, wie groß der Pilzkörper im Waldboden ist. „Fußpilz bekommt man leichter weg“, meint Westermann. Und manchmal sei so ein Pilzbefall auch lästig – in Parks oder auf Friedhöfen, wenn gesunde Bäume betroffen sind. „Aber eigentlich regelt sich in der Natur alles.“ Der gefräßige Hallimasch ist selbst essbar. „Mir schmeckt er. Aber Vorsicht! Er muss lange genug dünsten. Mindestens 20 Minuten. Roh ist der Pilz giftig.“ Vom Genuss des grünblättrigen Schwefelkopfs dagegen ist von vorneweg abzuraten, er soll ekelhaft bitter sein. Schon der Name klingt nicht besonders lecker. Der Ohrlöffelstacheling ist relativ klein und sitzt – falls er nicht weghüpft – am liebsten auf Kiefernzapfen. Wer genauer hinschaut, erkennt den leicht ohrenförmigen Hut und die kleinen Stacheln auf seiner Unterseite. „Im Detail kann ein Pilz schon sehr interessant aussehen – in der Masse ergeben sie aber wirklich spektakuläre Gebilde. Fast Kunstwerke. Oder nicht?“ Recht hat er, der Förster. Aber auch die Namen klingen nach, während wir durch den immer dunkler werdenden Wald stapfen. „Da ein Perlpilz“, ruft Westermann. Ups, beinahe wäre der Kerl platt gewesen. Von wegen weghüpfen ... Der Perlpilz ist essbar. Doch Experten warnen vor der Verwechslungsgefahr mit dem Pantherpilz. Der ist sehr giftig: Rauschzustand, Erregung, Halluzinationen. Diese Informationen retten den Perlpilz hier ... Goldig: der Mäuseschwanzrübling – auch er spannt seine Schirmchen über Zapfen auf. Was für diese allerdings das Ende bedeutet. Aber der Mäuseschwanzrübling ist wie sein Kollege, der Ohrlöffelstacheling (man kann diese Namen gar nicht oft genug wiederholen), nun mal auf das Zersetzen von heruntergefallenen Butzeln spezialisiert. „Jeder Pilz hat sich seine Nische gesucht, das macht sie sicher auch so einzigartig und sonderbar.“ Ein Riesenporling – der Elefant unter den Porlingen – entfaltet seine Pracht am Fuße einer alten Buche. Nass und klebrig schiebt sich ganz in der Nähe die Ochsenzunge über den Boden. Aus einem Bluthelmling tropft roter Saft. Jetzt fehlt nur noch eine Hexe, die aus diesen Zutaten ein giftig, schleimig-brodelndes Gebräu herstellt. „Och, die Ochsenzunge ist – zumindest jung – essbar und gilt als Leberersatz, schmeckt aber nicht“, erklärt der Forstexperte. Wir bleiben skeptisch. Das schafft er nicht, unser Förster, mit solch profanen Aussagen den Zauberbann zu brechen. Er lächelt. Wir laufen still zum Parkplatz zurück.

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