Pirmasens Nach Hause ist nicht Hannover

„Wenn ich sage, ich fahre nach Hause – dann meine ich Zweibrücken“, beschreibt Charlotte Lehmann ihre Beziehung zu ihrer Heimatstadt, in der sie geboren und aufgewachsen ist. Die 76-jährige Musikprofessorin, die seit vielen Jahren in Hannover lebt, als Konzertsängerin arbeitete und an der Hochschule in Würzburg lehrte, leitet am Samstag eine Aufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts Frühwerk „Apollo et Hyacinthus“ mit ihren Schülerinnen in der Klosterkirche in Hornbach. Unsere Mitarbeiterin Konstanze Führlbeck unterhielt sich mit ihr.

Frau Lehmann, warum haben Sie sich für dieses fast unbekannte Werk entschieden?

Apollo et Hyacinth ist ein kleines Wunderwerk. Es handelt sich um die Komposition eines gerade elfjährigen Knaben – stellen Sie sich einen Jungen vor, der gerade seit einem Jahr das Gymnasium besucht. Und dieser Junge konnte in diesem Alter schon Latein, Französisch, Italienisch und Englisch und das so, dass er prosodisch exakt komponieren konnte, auf die Silbe genau. Und die Musik ist so zauberhaft, dass man sie aufführen muss. Sie bietet sich auch gerade für ein Konzert mit Nachwuchssängerinnen an, weil sie ursprünglich für ein Benediktinerstift komponiert wurde, in dem die Gesangspartien von zwölf- bis 14-jährigen Knaben übernommen wurden. Heute sind das junge Sängerinnen, zwischen 19 und 28 Jahren. Sie bilden seit vielen Jahren Sängerinnen und Sänger aus: Was hat sich in dieser Zeit bei der Ausbildung geändert? Wie haben sich die Anforderungen an junge Sängerinnen und Sänger in den letzten 20 Jahren geändert? Und wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte bei der Ausbildung? Das ist eine sehr komplexe Frage. Zunächst einmal bringen die Studenten heute ganz andere körperliche Vorbedingungen mit als meine Generation. Die Kinder von heute sitzen nicht nur in der Schule und bei den Hausaufgaben, sondern verbringen auch einen Großteil ihrer Freizeit sitzend vor dem Computer. Die müssen wir erst einmal körperlich aufrüsten: Übungen für Körpergefühl, damit die Stimme klingt. Körperbewusstsein war zu meiner Studienzeit überhaupt kein Thema. Und dann müssen wir die Studenten auch geschmacklich bilden: Die kulturelle Sozialisation ist heute eine ganz andere. Vor 20 Jahren sind die jungen Leute noch nicht so überstrapaziert worden mit dem bewussten und unbewussten Hören von Musicals und Unterhaltungsmusik. Und diese Stimmen klingen ganz anders als Irmgard Seefried, Maria Callas oder Fritz Wunderlich, die die jungen Leute früher gehört haben. Heute hören das nur noch die Kinder mit dem sogenannten bildungsbürgerlichen Hintergrund, in der Schule kann man kaum noch Freischütz oder Zauberflöte besprechen. Man hat also einen viel weiteren Anlaufweg für den Stimmklang, den man für eine Ausbildung in der klassischen Musik braucht. Und mein Ziel ist es, die jungen Leute zu einem schönen klassischen, natürlich-ungekünstelten Ton zu erziehen, so dass man als Hörer das Gefühl hat, das strömt nur so aus dem Sänger heraus. Auch die stilistische Bildung gehört dazu: Dass die Studenten auch mal Literatur lesen, wie man Mozart aufgeführt hat: Vorschläge zum Verzieren oder zu Fermaten, wie man sie zum Beispiel in der Violinschule von Leopold Mozart findet. Dabei kann man dann auch sehen, wie man mit Musik umgegangen ist, und das mit späteren Kompositionsstilen vergleichen. Das müssen die Studenten dann aber im Selbststudium tun, dazu reicht die Zeit im Unterricht kaum. Hat das Regietheater auch Einfluss auf die Sängerausbildung gehabt? Und wie! Das Regietheater hat alles verändert. Früher haben wir gesagt: Wir müssen den Sängern helfen, die Emotionen und die Problematik in der Musik so auf der Bühne umzusetzen, dass es aussieht, als ob das natürlich aus dem Sänger herauskommt, also bis man die Hand des Regisseurs nicht mehr sieht. Dann kam das Regietheater, und die Regisseure haben versucht, eine Geschichte zu erzählen, die oft nicht mehr auf die Musik passt. Heute muss der Sänger seine Sache so genau kennen, dass er Absurditäten des Regisseurs auch mal auf Augenhöhe zur Sprache bringen kann. Führen Sie deshalb in Hornbach auch selbst Regie? Regie kann man das nicht nennen, ich habe die Oper arrangiert für eine konzertante Aufführung. Ich habe die Secco-Rezitative (Anmerkung: gesprochener Text in einer Oper) gestrichen, die ursprünglich in lateinischer Sprache verfasst waren, und erzähle stattdessen die Ereignisse. Wie ist das Konzert in Hornbach zustande gekommen? Ich hatte das Konzert ursprünglich der Kirchengemeinde in Contwig angeboten. Da mein Mann aus Contwig stammt, haben wir noch viel Kontakt dahin. Daraufhin wurde ich vom Festival Euroclassic angesprochen. Und wenn ich jetzt „Apollo und Hyacinth“ dort aufführe, gehe ich alten Spuren nach: Ich habe selbst als Schülerin meine erste Aufführung mit der Mozart-Oper „Bastien und Bastienne“ am Himmelsberg, heute Hofenfels-Gymnasium, gehabt. Was machen Sie privat, wenn Sie nicht singen? Ich lese sehr gerne – wenn auch nicht sehr systematisch, meist klassische Literatur und Gedichte, weil ich die ja auch singe. Aber die großen Wälzer, die ich mir für die Pension aufgehoben habe, stehen mir noch bevor!

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