Pirmasens Mehr Angst, Sucht, Demenz

Der neue Chefarzt der Psychiatrie am Städtischen Krankenhaus, Thomas Betz (links), im Gespräch mit Geschäftsführer Martin Forste
Der neue Chefarzt der Psychiatrie am Städtischen Krankenhaus, Thomas Betz (links), im Gespräch mit Geschäftsführer Martin Forster.

Vor 21 Jahren begann der Mediziner Thomas Betz seine Laufbahn in der Psychiatrie des Pirmasenser Krankenhauses. Als leitender Oberarzt hat er die Abteilung zusammen mit dem damaligen Chefarzt Stephan Rambach aufgebaut. Seit 1. April ist er Chefarzt. Was dem aus Saarbrücken stammenden Mediziner wichtig ist: Er will das von seinem verstorbenen Vorgänger Rambach begonnene Konzept der offenen Psychiatrie fortsetzen. „Ich bin seit 21 Jahren im Haus, nur eben in unterschiedlichen Rollen“, stellt sich Thomas Betz vor. Als Mitbegründer der Abteilung sei er der Garant, um das Konzept der gemeindenahen Psychiatrie fortzuführen. Gemeindenah heißt, dass es keine geschlossene Anstalt gibt. Auf ausdrücklichen Wunsch der Experten. Denn: Wer wird schon gerne isoliert. Statt dessen gibt es offene Türen. „Wir praktizieren im achten Stock das Flurtisch-Prinzip“, erklärt Betz die Pirmasenser Alternative. Rund um die Uhr würden Ärzte, Psychologen und auch Pflegepersonal dort sitzen, falls etwas passiert. Wenn ein Patient raus will, der nicht soll, hat dieser erst einmal persönlichen Kontakt und das sei wichtig. Oft besänftigen sich die Gemüter durch ein Gespräch mit dieser „menschlichen Barriere“, wie Betz sie nennt, oder durch einen Spaziergang im Park. Psychiatrische Störungen seien stark mit Emotionen verbunden, erklärt der frischgebackene Chefarzt. Deswegen sei es enorm wichtig, für eine gute Atmosphäre zu sorgen. „Die Patienten müssen sich wohlfühlen“, sagt Betz, der die Pirmasenser psychiatrische Abteilung im achten Stock des Städtischen Krankenhauses stabilisiert und im Kleinen weiterentwickelt hat. Deswegen gibt es dort auch Ping-Pong, Tischkicker und eine Küche, in der gemeinsam gekocht und gebacken wird. Inzwischen verfügt die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie über vier Stationen mit insgesamt 90 Betten, einer Tagesklinik mit 20 Plätzen und einer Institutsambulanz. „Thomas Betz ist der Beste für die Psychiatrie hier“, betont Geschäftsführer Martin Forster, der die vakante Stelle des Chefarztes bundesweit ausgeschrieben hatte. Er habe mit einigen Bewerbern ernsthafte Vorstellungsgespräche geführt und dabei festgestellt, dass die meisten aus Häusern kamen, in denen es geschlossene Psychiatrien gibt. Das seien in Deutschland im Grunde die meisten, ergänzt Forster. Bundesweit gebe es 420 psychiatrische Abteilungen in Krankenhäusern. Nur in 20 sei das Konzept der gemeindenahen Psychiatrie zuhause, für das sich Pirmasens entschieden habe. „Mir ist es wichtig, dass Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern gemischt untergebracht sind“, sagt Betz, der in seiner Abteilung die Pflicht- und Vollversorgung für Pirmasens, Zweibrücken und den gesamten Landkreis zu leisten hat. Das seien 200.000 Menschen, so Betz. Zur Verfügung stehen dem Chefarzt fünf Oberärzte, neun Ärzte, fünf Psychologen, vier Sozialarbeiter sowie Physio-, Ergo-, Musik-, Kunst- und Sporttherapeuten. Mit dem Team will er sich jeden Morgen zur Besprechung zusammensetzen. Doch das sei eh schon Ritual, lässt der Arzt wissen, der in der Region wohnt, seit er in Pirmasens arbeitet. Extrem von Vorteil sei im Städtischen Krankenhaus, dass die Psychiatrie und alle anderen Fachbereiche unter einem Dach untergebracht sind. So könne auf kurzem Wege untersucht werden, ob ein Leiden eine körperliche Ursache habe, erklärt der Chefarzt. Oft sei es eine Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse oder ein Bandscheibenvorfall, der auf das Gemüt drücke, sagt Betz. Pirmasens war und ist Vorreiter in Sachen offene Psychiatrie in Rheinland-Pfalz. Diesen Weg möchte Betz weitergehen. Dazu gehöre auch, die Angehörigen in die Behandlung miteinzubeziehen und Aufklärungsarbeit zu leisten, findet er. Außerdem gehöre zur Behandlung, die Patienten wieder in ihren Alltag und die Gesellschaft einzugliedern. „Die Behandlung in der Psychiatrie soll zur Normalität gehören“, betont Forster. Auf die Frage, ob ein fast kompletter Wegfall der ambulanten psychiatrischen Versorgung drohe, weil niedergelassene Ärzte wie Karl-Josef Klees altersbedingt aufhören wollen und keine Nachfolger finden, ging der Geschäftsführer des Städtischen Krankenhauses nicht ein. Das lohne einen gesonderten Gesprächstermin, über den er nachdenken wolle. Fest stehe: „Die Arbeit wird immer mehr“, sagt Chefarzt Betz. 1800 stationäre und 3000 ambulante Behandlungen pro Jahr belegen diesen Fakt. Dabei spiegele diese Entwicklung exakt die Entwicklung der Gesellschaft wider, in der immer mehr Menschen unter Angststörungen, Suchtproblemen oder Demenz leiden.

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