Koblenz Hochwasser-Katastrophe: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Landrat
Im Zusammenhang mit der Hochwasser-Katastrophe im Ahrtal ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz jetzt offiziell wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Das haben die Strafverfolger am Freitagvormittag mitgeteilt. Sie prüfen, ob die Menschen an der Ahr zu spät vor der drohenden Gefahr gewarnt worden sind.
Als Beschuldigte gelten derzeit zwei Personen: der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), weil er nach den Katastrophenschutz-Vorschriften zufolge „möglicherweise die Einsatzleitung und alleinige Entscheidungsgewalt“ hatte – und ein weiteres Mitglied des Krisenstabs, das nach derzeitigen Erkenntnissen zumindest zeitweise die Einsatzleitung übernommen hatte.
Zu spät gewarnt?
Ermittelt werde wegen des Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen, teilten die Anklagebehörde und das rheinland-pfälzische Landeskriminalamt am Freitag mit. Nach einer ersten Analyse der Vorgänge sehen die Strafverfolger Hinweise darauf, dass die noch nicht von der Flutwelle betroffenen Bewohner des Ahrtals am 14. Juli spätestens um 20.30 Uhr hätten gewarnt und in Sicherheit gebracht werden müssen.
Im Umkehrschluss würde das bedeuten: Möglicherweise hätte ein Teil der Flutopfer überleben oder ohne Verletzungen entkommen können, wenn rechtzeitig und deutlicher Alarm geschlagen worden wäre. Schließlich habe eine Auswertung ergeben, dass die getöteten Menschen überwiegend ahrabwärts und vor allem in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler gestorben seien. Allerdings weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass sie bislang nur einem Anfangsverdacht nachgeht. Deshalb „und wegen der Dramatik der Ereignisse“ weist die Staatsanwaltschaft besonders deutlich darauf hin, dass für den Landrat und das andere Krisenstabs-Mitglied weiterhin die Unschuldsvermutung gilt.
Unterlagen beschlagnahmt
Um die Vorgänge besser zu durchschauen, haben die Ermittler den Angaben zufolge am Freitag Unterlagen des Kreis-Kristenstabs sowie die „persönlichen Kommunikationsmittel“ der beiden Beschuldigten beschlagnahmt. Nun sollen sie ausgewertet werden.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat anlässlich der Ermittlungen eine umfassende Aufklärung zum Tod von zwölf Bewohnern einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung in Sinzig gefordert. „Drei Wochen nach der Flutkatastrophe im Ahrtal sorgen weder der Betreiber Lebenshilfe, die Stadt Sinzig noch der Kreis Ahrweiler für ausreichend Transparenz“, kritisierte am Freitag der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch, und fragte: „Warum mussten so viele Menschen sterben, die in einer geschützten Einrichtung gelebt haben?“
Tod von Bewohnern einer Behinderteneinrichtung: "Strafrecht reicht nicht aus"
Bereits vor der Flut sei klar gewesen, dass sich die hilfsbedürftigen Bewohner nicht selbst retten könnten. Obwohl es offenbar standardisierte Einsatzpläne zur möglichen Gefahrenabwehr gegeben habe, seien die Bewohner nicht vor der Katastrophe geschützt worden. „Mit dem Strafrecht allein wird diese Katastrophe nicht aufzuarbeiten sein“, sagte Brysch. „Es bedarf der Aufklärung und persönlicher Konsequenzen aller Verantwortlichen.“ Die Hinterbliebenen müssten endlich Antworten bekommen.
Die am Ufer der Ahr gelegene Einrichtung der Lebenshilfe mit 34 Wohnplätzen war in kurzer Zeit überflutet worden. Die Nachtwache habe es noch geschafft, mehrere Bewohner in den ersten Stock des Wohnheims zu bringen, hatte die Lebenshilfe danach mitgeteilt. Die Wassermassen seien aber so rasant in das Gebäude eingedrungen, dass es für die anderen Bewohner keine Chance mehr gegeben habe.
Extreme Starkregenfälle hatten vor drei Wochen, am 14. und 15. Juli, verheerende Überschwemmungen an Flüssen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ausgelöst. Viele Gemeinden, insbesondere im Ahrtal, wurden verwüstet. In Rheinland-Pfalz kamen mindestens 141 Menschen ums Leben. 16 weitere werden noch immer vermisst. Die Einsatzleitung zählte insgesamt 766 Verletzte.