Neustadt Waches Erleben und mystisches Sein

Maikammer. Noch bis zum 2. September heißt die Ausstellung „Wach-Sein“ Besucher im Haus Maikammer des Zentrums für Arbeitssicherheit der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) willkommen, und ausgeschlafen, sprich konzentriert muss man tatsächlich sein, um die Skulpturen der aus Heidelberg stammende Psychotherapeutin Barbara Brink und die Gemälde der Mannheimer Pädagogin Krista Paul tatsächlich goutieren zu können.

Die zwei Künstlerinnen aus dem Rhein-Neckar-Raum kennen sich schon lange und sind beide im Kunstverein „Form-mal“ in Mannheim-Neckarau aktiv. Eine Ausstellung, in der nur ihre eigenen Werke gezeigt werden, haben sie vorher aber noch nie zusammen gestaltet. Bei der Premiere haben sie die dafür ausgesuchten Stücke unter die Überschrift „Wach-Sein“ gestellt, weil ihre Exponate nach eigenen Worten vom Betrachter eine gewisse Portion Wachsamkeit sowie eine Prise Lust und Neugierde auf das Sein verlangen, um sie nach eigenem Gefühl interpretieren zu können. Der Titel ist aber durchaus auch doppeldeutig zu verstehen, denn zum einen mussten die Künstlerinnen beim Schaffen der gezeigten Bilder und Figuren sehr empfangsbereit und wach sein, um die Inspiration, die sie bei der Arbeit leitete, aufnehmen und umsetzen zu können. Und zum anderen haben viele der Schaustücke direkt mit dem Begriff Wachen und mystisches Dasein zu tun. So hat beispielsweise Barbara Brink gleich im Foyer des Hauses eines ihrer beeindruckendsten und flächenmäßig am meisten Platz beanspruchenden Objekte, bestehend aus sieben aus Gips geformten Einzelstücken zu je 65 Kilogramm Materialgewicht aufgebaut, das den Namen „Kreis der Wächter“ trägt. Jede der Figuren erzählt ihre eigene Geschichte, lässt aber trotzdem genug Spielraum zum Entwickeln selbstständiger Gedankenspiele. Betritt der Betrachter den zu einer Seite hin offenen Kreis, vervollständigt er damit automatisch den somit aus acht Teilen bestehenden Ring. Beim Eintreten passiert er dabei die rechts und links von ihm aufgebauten „Vater- und Muttergeister“, deren Platz an dieser Stelle bewusst gewählt wurde, um zu symbolisieren, dass ihre Begleitung durch den Lebensweg für jedes Wesen an erster Stelle stehen sollte. Direkt gegenüber des Eingangs tut der „Wächter“ seinen Dienst. Er erlaubt oder verweigert dem Interessierten den Zutritt, je nach dessen Empfinden. Seitlich neben ihm vervollständigen der „Sonnenkönig“, die „Mondsichelfrau“, der „aztekische Träumer“ und die auf dem Kopf stehende „Heyoka“ die Skulpturenanordnung. Letztere ist die von Brink bewusst als Frau dargestellte Form des eigentlich männlichen Narren, in dessen Rolle oft indianische Schamanen schlüpften, um ihren Mitmenschen auf beinahe satirische Weise den Spiegel vorzuhalten und damit auf humoristische Art ihre eigenen Fehler erkennen zu lassen. Direkt neben Barbara Brinks geheimnisvoll angehauchten und ein wenig an die englische Steinkreisanlage Stonehenge erinnernden Aufbau hat Krista Paul – der Stimmung angepasst – ihr Bild „Die Seherin“ aufgehängt. Es ist Teil ihres „Sizilien-Zyklus“, den sie nach mehreren Italienaufenthalten immer wieder erweitert und vervollständigt hat und von dem jetzt gleich mehrere Teile in Maikammer zu sehen sind. Besuche antiker Tempelanlagen haben in ihr Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wachgerufen, die sie jetzt in Collagen und Malereien zu neuem Leben erweckt. Einigen Stücke hat sie dazu, um ihnen mehr Authentizität zu verleihen, mit Rostfarben künstliche Patina mit auf den Weg gegeben. „Die Seherin“ lädt Betrachter zur Reise in die Vergangenheit ein. Die Fahrkarte dahin besteht aus intuitiven Eingebungen. Paul hat deshalb den Gesichtsbereich der „Seherin“ bewusst sehr plastisch dargestellt, den Hinterkopf aber, in dem das Denkvermögen wohnt, einfach weggelassen. Brink und Paul fordern von denen, die sich für ihre Arbeiten interessieren, dass sie der Fantasie freien Lauf lassen. Ob es sich dabei um die Bilderserie und gemalte Reisebeschreibung „Jakobsweg“ von Paul oder „aufgerichtet/ausgerichtet“ von Brink handelt, das einen Falken als Verbindung zwischen Himmel und Erde darstellt – ohne den wachen Blick der Ausstellungsbesucher und deren individuelles Verständnis für das momentane Sein bleibt der Sinn des Gezeigten verborgen und unsichtbar. Wer sich aber darauf einlässt und bereit ist, das Tor zu seinem Inneren zu öffnen, wird auf seine Kosten kommen.

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