Neustadt Viel gelobt und selten gespielt

Neustadt. Mit Rossinis Spätwerk, der „Petite Messe Solennelle“ (kleine feierliche Messe), wurde in der Martin Luther Kirche (nach einer vorangegangenen Aufführung in Landau) ein jeder Begeisterung und Bewunderung würdiges Meisterwerk vorgestellt, dem lange nicht die Aufmerksamkeit zuteil wird, auf die es Anspruch hätte. Das Stück wird viel gelobt und selten aufgeführt. Daher gebührt der konzertierten Aktion des Neustadter Vokalensembles und des Vokalkreises Plön unter Ulrich Loschkys Leitung uneingeschränkte Anerkennung.

Die „Petite Messe Solennelle“ stellt ein höchst originelles Gebilde dar mit ihrem reduzierten Aufführungsapparat. Vier (Vokal-)Solisten, ein Kammerchor (bei der Uraufführung mit acht Sängern besetzt), Klavier und Harmonium: für eine Messe eine höchst ungewöhnliche Besetzung. Diese Konstellation erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte des Werks, das im Auftrag eines französischen Adeligen entstanden ist und am 16. März 1864 zur Einweihung der Kapelle in dessen Pariser Palais in privatem Kreis uraufgeführt wurde. Auf mehrfacher Anregung hin erstellte dann (der damals schon hoch betagte) Rossini 1867 eine Fassung für Orchester, angeblich um zu vermeiden, dass ein anderer nach seinem Tod auf diese Idee käme. Auf jeden Fall soll er aber die ursprüngliche Version bis zuletzt bevorzugt haben. Was sich ohne weiteres nachvollziehen lässt, denn in ihrer ursprünglichen kammermusikalischen Gestalt wirkt Rossinis Messe ungemein reizvoll und zeigt eine ganz eigene Prägung. Es beginnt beim Klangbild, das in der lapidaren, trockenen Klavierfassung überraschend modern erscheint. Andererseits nimmt die Komposition den Zuhörer (in beiden Versionen) durch den Reichtum der Harmonik gefangen, mit stellenweise für ihre Entstehungszeit ausgesprochen kühnen Wendungen, darunter chromatischen Gängen, die auch von Wagner hätten stammen können. Nur als beglückend kann Rossinis melodische Inspiration in der „Petite Messe Solennelle“ bezeichnet werden, so etwa in der auch harmonisch überaus differenzierten Sopranarie Crucifixus oder der Tenorarie Domine Dei. Letzteres Stück, wie auch die Bassarie Quoniam, mag opernhaft wirken. Dabei geht es freilich um den Ausdruck sinnlich geprägter mediterraner Religiosität im Gegensatz zur demütig meditativen mitteleuropäischen. Im Bezug auf Verdis Requiem stellte seinerzeit der Wiener Kritiker Eduard Hanslick, eine musikhistorische Gestalt, die Frage, weshalb es den Italienern nicht gestattet sein sollte, in ihrer Sprache mit dem lieben Gott zu sprechen. Dies mag uneingeschränkt auch für die „Petite Messe Solennelle“ gelten. Den „gelehrten Stil“ beherrschte Rossini in diesem Werk allerdings äußerst souverän: Die beiden Doppelfugen, Cum sancto spiritu und Et vitam venturi saeculi zum Schluss des Gloria beziehungsweise des Credo sind außergewöhnlich wertvolle Dokumente hoch entwickelter mehrstimmiger Satzkunst. Nicht zu vergessen schließlich das wunderschöne verinnerlichte „Prélude Religieux“ für Klavier allein (mit Anklängen an Bachs Stil), das diesmal durch Verena Börsch in jeder Beziehung überzeugende Wiedergabe erfuhr. Überhaupt lässt sich der Aufführung in der Martin Luther Kirche ansprechender musikalischer Standard bescheinigen. Loschky führte den Apparat umsichtig und regte die Sänger und die beiden Instrumentalisten, Börsch und Stefan Viegelahn, unentwegt zu ebenso konzentriertem und differenzierten wie lebendigem und im Ausdruck intensivem Musizieren an. Die vereinigten Vokalensembles nahmen durch homogenen Klang und klare Linienführung für sich ein. Wobei die Frauenstimmen allerdings gelegentlich leicht verhaucht wirkten. Bei den Solisten beeindruckte Veronika Wiedekind sehr durch feine Sopranqualität und sensible Tonschattierungen. Thomas Jakobs sonorer Tenor imponierte durch Strahlglanz, zeigte mitunter aber eine leichte Tendenz zu tiefer Intonation. Insgesamt zuverlässig agierten Altistin Manuela Mach und Bariton Martin Risch. Durchweg exzellent geriet schließlich Verena Börschs Klavierpart.

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