Neustadt Ist das nun schon der Schuldenschnitt?

Neustadt-Hambach. Dass Christian Ehring zur allerersten Garde des deutschen Kabaretts gehört, hat er als Moderator des NDR-Satire-Magazins „Extra-3“ und als regelmäßiger Gast in der „Heute-Show“ schon oft bewiesen. Live aber ist er noch besser, wie sich am Donnerstag im Hambacher Schloss unschwer an den Reaktionen des Publikums erkennen ließ. Das bog sich den ganzen Abend lang schier vor Lachen und bekam ganz en passant eine so treffende Zeitdiagose geboten, dass all die Jauchs, Wills und Plasbergs daneben ziemlich alt aussehen.

Schnellen Schrittes kommt er durch den Mittelgang zur Bühne, ein drahtiger Vierziger mit einem allerdings eine Nummer zu klein geratenen Jackett, setzt sich schnurstracks ans Klavier und stimmt den ersten Song an: „Als Gott, der Herr, die Welt erschuf, war er noch neu in dem Beruf“, ist da zu hören, und auch der Refrain reimt sich schön: „Die Welt ist schlecht und ungerecht.“ Warum? Christian Ehring nennt dazu nur drei Namen: Varoufakis, Putin – und Moni. Letzterer ist erklärungsbedürftig, da privat, das erkennt der Mann auf der Bühne selbst. Andererseits verspürt er „Vorbehalte“ im Publikum, das er als „Info-Elite“ anspricht (Wer geht auch sonst donnerstags in Kabarett?). Auf die Aufklärung, was es mit dieser Moni auf sich hat, müssen die Zuschauer also noch etwas warten. Dafür stellt sich Ehring nun als Elmar Stelzwedel vor, der Mann, der über viele Jahre die späteste Spätausgabe der Spätnachrichten moderierte und damit den Katastrophen dieser Welt sein Gesicht gab. Im Laufe des Abends erfährt man dann Schritt für Schritt, warum dies mittlerweile Vergangenheit ist: Gefeuert wurde er – „in einseitigem Einvernehmen“ – und das nur, weil er einen Kommentar zur Pkw-Maut in einen privaten Appell an seine Ex umfunktionierte und ein „Moni, komm zurück!“ durch den Äther schickte. Die Gelegenheit für seine Chefin, eine Frau Dr. Friederike-Gesine Herkenrath-Bovenschen, dem eitlen Schnösel („Kann diese Frisur lügen?“) den Stuhl vor die Tür zu setzen. Der sieht sich nun im Jobcenter mit dem Angebot konfrontiert, als verkleidete Fritte Werbung für eine Imbissbude zu machen. In diese skurrile Rahmenhandlung hat Christian Ehring einen politisch-soziokulturellen Rundumschlag eingebettet, der vor wunderbaren Pointen nur so strotzt: Es geht von Angela Merkel („Die bleibt sicher nur noch ein Jahr in Deutschland, dann wechselt sie zu Real oder Chelsea“) über Varoufakis und seine Frisur („Ist das cool oder schon der Schuldenschnitt?“) bis zu den „faulen Südländern – vor allem die Iren“. Dann wechselt Ehring wieder ans Klavier und präsentiert ein an die heilige Jungfrau gerichtetes Lied, mit dem sich „Pussy Riot“ bei Putin einschmeicheln soll: „Wir danken Dir – für Wladimir“. Noch besser ist der Song „Ich lebe nicht gerne in der Postmoderne“, der mit ätzendem Sarkasmus den Verlust der Sicherheit und Eindeutigkeit ins Bild setzt, der so vielen Deutschen zu schaffen macht, die sich zurücksehnen in die Zeit, „so einfach und klar, wie es früher mal war“, als man sich im Supermarkt noch nicht zwischen Lätta und Rama entscheiden musste und auch noch nicht die Wahl zwischen Homo- und Heterosexualität plus diverser Zwischenstufen hatte. „Die Menschen wollen doch, dass man ihnen sagt, wo’s lang geht“, so Stelzwedel-Ehrings Analyse, das sehe man doch schon an der Ausbreitung der Navigationsgeräte. Auch vor heiklen Themen wie dem islamistischen Terror schreckt der Kabarettist aus dem Rheinland nicht zurück – etwa im Song „Komm wir gründen in Teheran ’nen Karnevalsverein“ – und schlüpft sogar einmal in die Rolle Osama bin Ladens. Und selbst hier sind seine Pointen treffsicher – wie eigentlich immer, ob es nun um die Bundeswehr geht, bei der „nur noch die Hälfte aller Säbel und Steinschleudern einsatzfähig“ sind, um Benedikt XVI. im Vergleich zu seinem Vorgänger („Der Pole rackert bis zum Ende, der Deutsche hat Burnout“), um den Euro („30 Prozent der Deutschen sind gegen ihn, in DM also 60“) oder um den Vorschlag, abgebrochene Studenten ins Handwerk zu schicken („Die sollen doch wie bisher zur CSU gehen oder in die Medien“). Hohe Kabarett-Kunst sind auch sein Vorschlag, doch Günter Schabowski zum Pressesprecher des Berliner Flughafens zu machen – „vielleicht macht er den dann auch zufällig auf“ – oder seine Überlegungen zu einem liberalisierten Namensrecht, bei dem die Eltern bei der Benennung ihres Nachwuchses auch auf Tagesaktualitäten zurückgreifen dürfen nach dem Motto: „Tsunami, lass doch jetzt endlich die Agenda in Ruhe!“ Dabei lässt Ehring all das wie ein Trommelfeuer aufs Publikum niedergehen, das sich vor Lachen fast auf dem Boden windet, und springt so geschickt von einem Thema zum nächsten, dass man mit der Zunge schnalzt. Gesteigert wird die Komik natürlich noch durch das Agieren am Rande des Nervenzusammenbruchs, das Ehring in der Rolle des Elmar Stelzwedel so wunderbar zelebriert – etwa im (gespielten) Dialog mit seinem Psychotherapeuten oder bei seinen verzweifelten Anrufen bei „Spiegel“, „Bunte“ und „Bravo“, wo aber keiner die Enthüllungsstory über seine Kündigung haben will. Seinen Höhepunkt erreicht das skurrile Geschehen schließlich mit der „Matrix 2015“, als Stelzwedel mit großer Plausibilität darlegt, dass unsere so genannte Wirklichkeit nur eine computergenerierte Illusion sei – und Pofalla eben nur der Witz eines Programmierers. Es versteht sich von selbst, dass Christian Ehring nicht ohne Zugabe von der Bühne darf: Die gibt es in Form eines parodistischen Herbert-Grönemeyer-Medleys, das andeutet, dass der Mann aus Düsseldorf an diesem grandiosen Abend noch immer nicht alles gezeigt hat, was er kann.

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