Neustadt „Eine neue Welt entspringt“

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Neustadt. Haydns „Schöpfung“ zählt seit über 200 Jahren zu den Bestsellern der Chormusik und ist normalerweise ein Garant für ausverkaufte Konzerte. Nicht so am Dienstagabend beim leider nur dünn besuchten Auftritt des Klassischen Chors der Technischen Universität Kaiserslautern und der Kammerphilharmonie Mannheim in der Martin-Luther-Kirche.

Verdient hatten sie das nicht: Was die wenigen Klassikfreunde unter der Leitung von Berthold Kliewer erlebten, war künstlerisch einfach grandios. Angefangen mit dem Orchester, der Kammerphilharmonie Mannheim, das vom ersten Takt an auf einen vielversprechenden Abend hoffen ließ. Am Beginn steht die Darstellung des Chaos, geradezu gespenstisch artikuliert von einem Klangkörper, der zwar nicht puritanisch an den Geboten der historisch informierten Aufführungspraxis festhält, aber dennoch ungemein authentisch klingt – ein Sound, weit entfernt von romantischer Klangmonumentalität, sondern ganz im Gegenteil beseelt von einer geradezu kammermusikalischen Transparenz. Berthold Kliewer weiß um die Phrasierungstechniken des 18. Jahrhunderts bestens Bescheid. Und auch wenn das Orchester mit Ausnahme der drei Naturhörner zum großen Teil nicht auf alten Instrumenten beziehungsweise deren Nachbauten musiziert, fühlt man sich unweigerlich in die spannenden Klangwelten der Wiener Klassik hineingezogen. Vom düsteren Auftakt bis hin zu den idyllischen Auen des Paradieses setzten Orchester, Chor und das Solisten-Terzett unter der umsichtigen, auf eine fein ausgewogenen Klangbalance achtenden Stabführung Kliewers die Schöpfungsgeschichte detailgetreu um. 25 Frauen und 19 Männer sind es, die mit ihren jungen Stimmen die Strahlkraft eines großen Oratorienchors entfalten. Dem beklemmenden instrumentalen Einstieg folgt mit dem Heraufsteigen der Sonne der erste Choreinsatz „Und eine neue Welt entspringt auf Gottes Wort“ in großartiger Steigerung. Zuvor gibt der Tenor des Abends seine stimmliche Visitenkarte ab: Timo Schabel als Erzengel Uriel wird sich im weiteren Verlauf zunehmend frei singen und spätestens bei der bekannten Arie „Mit Würd und Hoheit angetan“ mit tenoralem Schmelz die letzten Zweifler überzeugen. Überragende Solistengestalt des Abends ist der tschechische Bariton Roman Hoza in der Rolle des Erzengels Raphael: Von der Klangfarbe her eigentlich ein Tenor, gleichzeitig gesegnet mit einer erstaunlich profunden Tiefe, in der Mittellage mit allen Tributen eines männlich-kernigen Baritons ausgestattet. Eine klangliche Offenbarung! Es sind die naturnahen, auch beim erstmaligen Hören leicht nachvollziehbaren tonmalerischen Aspekte, die den Erfolg von Haydns Oratorium ausmachen. Vor allem, wenn sie so klar artikuliert werden. Im zweiten Teil, der von der Erschaffung der Tierwelt erzählt, hören wir Löwen und Tiger brüllen, Vögel zwitschern und Nachtigallen schluchzen. Mit einer unübertroffenen Plastizität lassen Chor, Orchester und Solisten die Schöpfungsgeschichte vor dem geistigen Auge Revue passieren. Nur ein Beispiel: Bravouröse Dialoge mit dem Orchester liefert Sopranistin Esther Mertel. Bei der Darstellung der Erschaffung der Vögel bleibt sie der Triller- und Verzierungstechnik des Flötenregisters nichts schuldig. Ein Koloratursopran allererster Güte! Im Terzett überzeugt sie an der Seite ihrer männlichen Mitstreiter als wunderbar einfühlsame, sich in den Gesamtklang homogen einfügende Kollegin. So gerät das abschließende Terzett der drei Erzengel im zweiten Teil zu einem der ganz großen klanglichen Höhepunkte, bevor Gabriel und Raphael die Rollen tauschen, um im dritten Teil als Adam und Eva vom Glück und der Harmonie des ersten Menschenpaares zu schwärmen. Kleine Bemerkung am Rande: Natürlich entlocken die heutzutage geradezu anachronistisch wirkenden Sprüche dem modernen Hörer so manches Schmunzeln: „Dir gehorchen, bringt mir Freude, Glück und Ruhm“ (Eva zu Adam) oder „In froher Unschuld lächelt sie ihm Liebe, Glück und Wonne zu“. Solche Frauen gibt’s nicht mehr, und das ist auch besser so. Und immer wieder sind es die großen Chornummern, wie der Evergreen „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ oder der klangmächtige Schlusschor „Singt dem Herren alle Stimmen!“, die Gänsehaut bereiten und vielleicht der Hauptgrund für die Standing Ovations nach dem Konzert sind. Den jungen Sängerinnen und Sänger gelingt bei diesen Gelegenheiten auf eindrucksvolle Weise der musikalische Spagat zwischen kunstvoller barocker Vielstimmigkeit, dem vokalen Erbe der Italiener und den Errungenschaften der Wiener Klassik. So macht Haydn einen Haydn-Spaß.

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