50 Jahre Eberthalle - Leser schildern ihre Erlebnisse Woodstock vor der Haustür

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Ein Hauptmann, der Wagner hört – passt eigentlich. Für Thomas Hauptmann war es hingegen eine traumatische Erfahrung, bereits mit 13 Jahren den ganzen Ring des Nibelungen durchlitten zu haben. Sein Fluchtpunkt war die „Ewerthall“. Dort machten Yes oder Santana Musik. Und die unterschied sich deutlich von der, die seine Eltern hörten. Eine von vier Anekdoten auf dieser Seite.

Coming-out mit Chicago

Liebevoll „die Ewerthall“ nennt Thomas Hauptmann aus Landau das Veranstaltungshaus. „Ich war gerade zehn Jahre alt geworden, als die Halle eröffnet wurde. Da ich zu dieser Zeit nur wenige Meter entfernt von der Baustelle wohnte und meine Freunde und ich mit unseren kleinen Fahrrädern ständig auf Tour durch den Park waren, drang die Halle schon früh in mein Bewusstsein. Die Halle wurde zur allgegenwärtigen Kulisse von vielen Ereignissen in meinem Leben – und ist es bis heute geblieben, obwohl ich schon lange nicht mehr in ihrer Nachbarschaft wohne.“ Hauptmann denkt gerne an die sonntäglichen Spaziergänge mit seinem Vater zurück, der sich sehr für die Architektur des Gebäudes interessierte. „Mir ist noch gut in Erinnerung, dass japanische Vorbilder für die Schmetterlingsform der Konstruktion Pate gestanden haben sollen. Wir verfolgten aufmerksam jeden Bauabschnitt und waren gespannt auf die damals revolutionäre Ausführung des Gebäudes als Mehrzweckhalle“, schildert Hauptmann. Bei Besuchen der Verwandtschaft aus der nordfranzösischen Provinz sei ein Abstecher zur Baustelle Pflicht gewesen.Natürlich hat Hauptmann auch Veranstaltungen besucht. „Ich war als Zwölfjähriger ganz stolz, dass ich einmal neben dem damaligen Oberbürgermeister Werner Ludwig sitzen durfte und dann einen Wimpernschlag lang im Fernsehen zu sehen war. Mit 15 begann ich mich für Musik zu interessieren, die deutlich von dem abwich, was meine Eltern für Musik hielten. Gebeutelt durch die traumatische Erfahrung, als 13-Jähriger bereits den gesamten Ring des Nibelungen und sonstige Marterwerkzeuge wagnerischen Schaffens durchlitten zu haben, hatte ich mein Coming-out mit Santana, East of Eden und Chicago. Fast alle namhaften Gruppen dieser wilden Zeit waren zu Gast vor meiner Haustür – zwischen 1970 und 1980 habe ich sie alle dort erlebt“, berichtet er. Unvergessen waren für ihn die Konzerte von Jethro Tull und Yes. „Mein Woodstock lag direkt vor der Haustür – die Ewerthall.“ „Heute, viele Jahre später, den Musikgeschmack zu Jazz transformiert, verfeinert durch die Liebe zur italienischen Oper, denke ich immer noch gerne an die Konzerte in der Halle. Die Erinnerung daran wird für immer in meinem Gedächtnis eingraviert bleiben. Die alten Kempen von damals höre ich immer noch gerne, bei Wagner treibt es mir auch heute noch den Angstschweiß auf die Stirn. In diesem Leben werde ich wohl keinen Zugang mehr zu seiner Musik finden.“ Gänsehaut mit Gaby und Gerd „Als alter Knabe, geboren 1946, habe ich die Eberthalle von Anfang an genossen“, schreibt Peter Kronhagel aus Böhl-Iggelheim. „Ehrlich – eins meiner schönsten Erlebnisse überhaupt verdanke ich dieser Halle. Eine Veranstaltung, die fast so lange zurückliegt, wie die Halle alt ist.“ Über das Konzert der Beach Boys am 27. Oktober 1966 hat er vor vielen Jahren für den Fanclub der Kalifornier, mit dessen „Jüngern“ er sich heute noch trifft, folgenden Erlebnisbericht verfasst:„Gerd Kern war der erste unseres Freundeskreises in Ludwigshafen, dem die Augäpfel fast aus den Höhlen fielen. Wenig später stand ich vor der Litfaßsäule am Marktplatz in der Innenstadt und starrte auf das auffallende rot leuchtende Plakat, das in zwei Meter Höhe angebracht war. Folgendes wurde angekündigt: Einziges Sondergastspiel, The Beach Boys in Ludwigshafen, 27.10.1966, Friedrich-Ebert-Halle. Um mich von der Richtigkeit zu überzeugen, rief ich am nächsten Tag die Hallenverwaltung an. Meine Anfrage wurde positiv bestätigt. Da in Frankfurt keine entsprechende Halle aufzutreiben war, wichen die Organisatoren nach Ludwigshafen aus. Grund dafür war die damals nagelneue kleine Arena im Norden der Chemiestadt, welche dem Veranstalter empfohlen wurde. Als größtes Ereignis der deutschen Pop-Bühne nach dem Beatles-Gastspiel war uns dadurch die Tournee mit den Beach Boys, Ambros Seelos, Peter and Gordon, Graham Bonney und den Lords quasi in den Schoß gefallen. Nun nutzten wir die Gunst der Stunde durch schnellen Kartenkauf. Wir ergatterten beste Plätze in der dritten Reihe, ganz vorne an der Bühne. Toll – bei dieser Entfernung konnten wir bestimmt gute Fotos machen. Die Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Alle fieberten dem Spektakel entgegen. In den Tagen vor dem Gastspiel hörten wir nur noch Platten der Beach Boys. Die Texte wurden nochmals einstudiert. Schließlich wollten wir in der Halle kräftig mitsingen. Dann war es so weit. Die Beach Boys – wirklich in Ludwigshafen! Fast paradox, denn der größte Teil der US-Fans konnte die Gruppe zu dieser Zeit noch nicht live sehen. In der Nachmittagsvorstellung, dies hatten wir von Freunden erfahren, war es noch recht verhalten zugegangen. Weder Veranstalter, Aufsichtspersonal noch Polizei hatten zu klagen. Am Abend änderte sich das aber. In der ausverkauften Halle begann man rasch die Ungeduld der Fans zu spüren. Ambros Seelos, The Lords, Graham Bonney und Peter and Gordon bestritten leidlich das Vorprogramm. Bonney wurde sogar ausgepfiffen. Nach der Pause fieberten wir deshalb noch ungeduldiger dem Auftritt der Beach Boys entgegen. Man konnte das Herzklopfen der echten Fans fast hören. Bei mir gab es zusätzlich Gänsehaut und einen Druck in der Magengegend. Als die Beach Boys die Bühne betraten, schien das Hallendach herunterzukommen. Die Gruppe wurde mit frenetischem Applaus begrüßt. Die Halle – ein Hexenkessel! Da waren sie leibhaftig: Dennis Wilson, Carl Wilson, Mike Love, Al Jardine und Bruce Johnston. Nun sah man rundherum unglaubliche Szenen – überall Jubel ohne Ende. Johlen, Pfeifen, Geschrei aus 4000 Kehlen sowie rhythmisches Stampfen, ließen die Halle erzittern. Die Wellen der Begeisterung schlugen haushoch. Schon mit dem ersten Song hatten die Beach Boys ihr Publikum erobert. Frei von jeglichen Starallüren brachten sie einen Brian Wilson-Hit nach dem anderen. Bei ,Sloop John B.’ und ,Good Vibration’ erreichte die Stimmung einen Höhepunkt. Die Beat-Jünger waren außer sich vor Begeisterung. Die Masse der Fans wollte sich nicht mehr beruhigen, einige flippten total aus. Verstrebungen zwischen den Stühlen wurden entfernt und dienten als Musikinstrument oder als Taktstock. Auch Stühle gingen zu Bruch. Als gegen Ende des Konzerts eine Horde junger Leute in Richtung Bühne drängte, bewiesen die Beach Boys sportliches Können. Die Fünf ließen ihre Instrumente auf der Bühne zurück und brachten sich rasch in Sicherheit. Ein startbereiter Wagen fuhr sie, wie wir später erfuhren, in ein Mannheimer Hotel. Diesen Abend werde ich nie vergessen – es war traumhaft! Auch Gaby (ich habe sie später geheiratet) und Gerd ritten auf der Glückswelle. Rund 7000 Besucher kamen zu beiden Vorstellungen.“ Beeindruckt von BAP Nicht nur für Showmaster Dieter Thomas Heck, der 22 Mal mit der Goldenen Stimmgabel in Ludwigshafen gastierte, war die Eberthalle sein zweites Wohnzimmer. Ein Wohlfühlort war sie auch für Werner Schlieger, wovon etliche Tickets aus seiner Sammlung zeugen – von Barclay James Harvest bis Juliane Werding. „Zwischen 1975 und 2001 habe ich hier zahlreiche Konzerte erlebt. Darunter The Who, Rory Gallagher, Joe Cocker, Tina Turner und Wishbone Ash, um nur einige zu nennen“, schreibt der 69-Jährige. „Begonnen hat es für mich am 7. November 1975 mit The Who“, die trotz des turbulenten Auftritts von 1967 noch mal wiederkommen durften. „Mein letztes Konzert in der Eberthalle war am 24. November 2001 der Auftritt von UB 40“, berichtet der Schauernheimer. „Mein beeindruckendstes Erlebnis war ein BAP-Konzert 1985, das pünktlich um 20 Uhr begann. Um 23 Uhr stand die Band nach etlichen Zugaben immer noch auf der Bühne, das Publikum tobte und forderte weitere Zugaben. Da das damalige Repertoire der Kölner bereits erschöpft war, kamen Wiederholungen und Songs von den Stones. Obwohl die Hallen-Verantwortlichen gegen 23.30 Uhr die komplette Saalbeleuchtung einschalteten, ließ sich BAP nicht beeindrucken und spielte noch bis Mitternacht weiter“, erinnert sich Schlieger. „Das Konzert, das mich am meisten beeinflusste, war am 2. November 1976 der Auftritt von Peter Frampton. Sein Doppelalbum Frampton Comes Alive dreht sich heute noch regelmäßig auf meinem Plattenteller – und ich liebe jeden einzelnen Song“, erzählt der Musik-Fan. „Inzwischen“, sagt er, „sind die großen Hallen allerdings nicht mehr mein Ding. Mittlerweile bevorzuge ich Blues-Veranstaltungen in der näheren Umgebung, die meist in kleineren Locations stattfinden.“ Freude über Bekenntnis Eintrittskarten als Erinnerungsstücke aufbewahrt hat auch Silke Jakobs. „Als ich in einer Sommernacht im Klinikum auf die Welt gekommen bin, war die Eberthalle gerade mal vier Monate alt“, erzählt sie. „Und als ich als 17-Jährige Helen Schneider 1982 in der Eberthalle sah, machte sie noch ganz andere Musik als heute. Allerdings war ihre Johnny-Cash-Hommage zusammen mit Gunter Gabriel vor zwei oder drei Jahren, ebenfalls in der Eberthalle, auch sehr schön.“ Wie Werner Schlieger war auch Jakobs beeindruckt von BAP. „Sie spielten für wenig Geld drei Stunden oder länger immer noch eine Zugabe nach der anderen.“ Als Friesenheimer Kind sei sie mit der Halle aufgewachsen. „Ihre außergewöhnliche Architektur finde ich sehr schön. Ich freue mich über das Bekenntnis der Stadt zu ihrem Erhalt. Mir würde die Eberthalle sehr fehlen. Sie gehört zu Ludwigshafen.“ Zusammengestellt und bearbeitet von Steffen Gierescher und Markus Müller

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