Ludwigshafen Steinway trifft Mandoline

Brad Mehldau ist einer der Lieblinge beim Festival Enjoy Jazz. Ein halbes Dutzend Mal war er hier schon zu Gast, mit seinem großartigen Trio, im Duo mit Joshua Redman und Charlie Haden, mit Orchester, mit dem Synthesizer-Schlagzeug-Projekt Mehliana. Jetzt hatte er den Bluegrass-Musiker Chris Thile an seiner Seite. Der Abend im Ludwigshafener Haus wurde zum Ereignis.

Der 44-jährige Pianist aus Florida ist so etwas wie der große Universalist im zeitgenössischen Jazz. Schon sein Klavierspiel zeigt viele Einflüsse, von deutscher Romantik bis zu so unterschiedlichen Jazzpianisten wie Bill Evans oder McTyner. Eine nahezu unbegrenzte Technik führt dies alles ganz lässig zusammen, in souverän zwischen Melodischem und Abstraktem changierenden Improvisationen. Dazu kommt ein vorurteilsfreies Interesse an Popularmusik. Neben bewährtem Standardmaterial von Gershwin bis Coltrane benutzt er auch Popsongs von Oasis, Radiohead, den Beatles oder Paul Simon. So ist er auch auf den Bluegrass-Musiker Chris Thile gestoßen. Dass Jazzsnobs und Hillbilly-Landeier irgendwann Freunde gewesen seien, ist nicht bekannt. Was Mehldau und Thile im proppenvollen Ludwigshafener Kulturzentrum veranstaltet haben, hat auch nichts mit Country-Seligkeit und Fiddle-Gejuchze zu tun. Man darf sich da von Mehldaus kariertem Hemd und Thiles auf Brusthöhe umgeschnallter Mandoline nicht irritieren lassen, die beiden verwandeln traditionelle Bluegrass-Nummern und nettes Singer-Songwriter-Material in hochvirtuose Stücke. Fiona Apples „Fast as you can“ oder „Independence Day“ von Elliott Smith sind ja eher Allerweltsware, hier wird daraus große Kunst. Ein paar eigene Stücke steuern Mehldau und Thile ebenfalls bei. Den Anfang machte „Scarlet Town“, eine düstere Ballade von Gillian Welsh, die auch Bob Dylan schon eingespielt hat. Thile singt mit einer lässigen, in den tieferen Lagen eher dünnen Stimme, die in der Höhe eine spröde-emphatische Schönheit entfaltet. Die Songzeilen bilden hier so etwas wie Haltepunkte, zwischen denen sich das virtuose Spiel der beiden entfalten darf. Thile, der auch schon Violin-Partiten von Bach auf seiner Mandoline gespielt hat, zeigt dabei eine beeindruckende Virtuosität, lässt die Tonfolgen nach Belieben über die Saiten rasen oder liefert in Bluegrass-Manier die rhythmischen Patterns für Meldaus solistische Eskapaden. Wenn sich die beiden in gemeinsamen Improvisationen verheddern und vielstimmig überlagern, führt das manchmal ein Stück weit weg vom harmonischen Gerüst der Songs, kehrt aber immer wieder dorthin zurück und zelebriert durchaus deren schmerzliche Schönheit. Zum Abschluss spielten sie Dylans „Don’t think twice, it’s all right“, mogelten sich fast schüchtern in die Melodie. Thile sprudelte die Verse heraus, hastig, superlässig und in geradezu existenzialistische Höhen abdriftend. Und auf Mandoline und Steinway zeigten sie dann, was man aus solch einer ollen Folkikone musikalisch alles herausholen kann. Auch nach zwei Zugaben hatte das Publikum noch nicht genug, aber die beiden werden ja wieder kommen, Mehldau vermutlich mit seinem nächsten Projekt und Thile ganz sicher mit seinen Punch Brothers.

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