Ludwigshafen Menschen, die Roboter sind

Menschen mit Masken, Bestien, Androiden: In „Pasionara“ sind seltsame Gestalten unterwegs.
Menschen mit Masken, Bestien, Androiden: In »Pasionara« sind seltsame Gestalten unterwegs.

Unsere Hingabe an den technischen Fortschritt, unsere Sucht nach Selbstoptimierung – wohin führen sie uns? Machen Sie unser Leben besser? Oder machen sie uns zu entmenschten Automaten? Die Antwort des Choreographen Marcos Morau fällt eindeutig aus. Ihm zufolge landen wir über kurz oder lang in „Pasionaria“ und damit in der Abwesenheit des Gefühls. Sein gleichnamiges Tanztheaterstück gastierte bei den Festspielen Ludwigshafen im Theater im Pfalzbau.

„Die Gegenwart, in der wir leben, lässt uns eine Zukunft imaginieren, in der wir einfach aufgehört haben, etwas zu empfinden.“ So formuliert Marcos Morau die Prämisse von „Pasionaria“. Wie alle Stücke, die der 1982 in Valencia geborene Morau mit dem von ihm 2005 gegründeten Ensemble La Veronal entwickelt, ist auch „Pasionaria“ ein hochartifizielles Gesamtkunstwerk aus Ton, Tanz, Körpertheater, Bühnenbild, Ausstattung, Licht und Maske. Schauplatz der neuen Morau-Dystopie ist eine zunächst seltsam vertraut wirkende Parallelwelt. Die Bühne gleicht nämlich einem Treppenhaus, wie man es in alten Krankenhäusern oder Amtsgebäuden findet. Wird dann aber der Lamellenvorhang vor dem großen Treppenhausfenster zurückgezogen, gleitet der Blick hinaus in galaktische Weiten: Befinden wir uns also doch eher auf Raumschiff Enterprise? Gelegentlich rast, durch einen Knauf am Treppengeländer gesteuert, der Mond vorbei. Die Menschen, die dieses surreale interstellare Zwischenreich bewohnen, bewegen sich ruckartig, wie Roboter. Manche von ihnen tragen große Brillen, andere kugelförmige Astronautenhelme, eine Asiatin (die Tänzerin Sau-Ching Wong) tritt mit einer Silikonmaske in Erscheinung, die sie besonders puppenhaft und künstlich wirken lässt. Dazu passt, dass die Glieder gerade dieser Tänzerin bisweilen ein seltsames, vom Rumpf getrenntes Eigenleben zu führen scheinen. Womit haben wir es hier zu tun? Mit Androiden, die Menschen imitieren? Oder mit Menschen, die zu Automaten geworden sind? Das bleibt offen. Klar wird nur, dass auch diese Wesen gerne Dinge im Internet bestellen, denn ständig werden in „Pasionaria“ Pakete geliefert. Für den tänzerischen Teil dieser negativen Zukunftsvision sind Figuren und Bewegungen aus Breakdance und Streetdance essenziell. Stilformen und Techniken wie Krumping, Clowning, Roboting oder Freeze fließen in eine Körpersprache ein, die absichtlich das Expressive, den Ausdruck von Leidenschaft, unterläuft. Und das mit zunehmend groteskem Effekt: Aus dem Trio eines Tänzers mit zwei Tänzerinnen macht das roboterhafte Bewegungsstaccato der Körper eine Balz von absurder Komik; ebenso irre wie mechanistisch wirkt das Ballett, bei welchem das achtköpfige Ensemble synchrone Verrenkungen auf der langen Wartebank der Treppenhausbühne vollführt. Fortpflanzung und Nachwuchspflege werden in dieser Parallelwelt exekutiert wie ein hohles Ritual, wie ein Programm, dessen Bedeutung längst abhanden kam. Gegen dieses virtuos inszenierte und faszinierend getanzte „vollkommene Fehlen von Leidenschaft“ setzt Morau einen Soundtrack, der aus einem Strom von Radiostimmenrauschen, „Terminator“-Fanfaren und „2001“-Zitaten wiederholt zurückfindet zu Johann Sebastian Bach. Vor allem dessen große Passionsvertonungen klingen an, eingangs mit pathetischem Chorgesang, gegen Ende durch eine Klaviertranskription der Arie „Erbarme dich, mein Gott“ aus Bachs Matthäuspassion. Diese musikalische Folie ist hochbedeutsam, weil sie dem Mangel an Leidenschaft die Intensität des Leidens entgegenhält und die Menschwerdung Gottes hart mit der Entmenschung des Menschen konfrontiert. Am Ende von Moraus Zukunftsvision knallt „Pasionaria“ auf die Erde. Die Folge: Ein bizarres Bestiarium aus mutierten Gestalten oder lädierten Androiden robbt durchs Treppenhaus, zwei heil gebliebenen „Robotern“ brennen dampfend die Schaltkreise durch. So schließt eine der merkwürdigsten Tanztheaterproduktionen der Festspiele: witzig und beklemmend zugleich.

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