Ludwigshafen Kleine Häuser, große Gärten

Nach rechts zur Blies oder lieber nach links in das Bruch? Das ist die Qual der Wahl, die vor jedem Spaziergang steht. Im Sommer muss ich mich zwischen einer Radtour durch das Bruch, vielleicht mit einer kleinen Pause bei einem der zahlreichen Bruchfeste, oder einem Sprung in die Blies entscheiden. Diese enge Anbindung an zwei wunderschöne Naherholungsgebiete der Stadt ist nur eines von vielen Dingen, die ich an meinem Viertel im nördlichen Teil der Gartenstadt schätze. Nicht nur, dass die im letzten Jahr 100 Jahre alt gewordene Gartenstadt der „schönste Stadtteil Ludwigshafens“ ist, wie Ortsvorsteher Klaus Schneider (CDU) nicht müde wird zu betonen, hier stimmen auch die Nachbarschaft und die Infrastruktur. Doch der Reihe nach. Auf den ersten Blick wirkt die Niederfeldsiedlung eintönig. Etwa 450 kleine, geduckt wirkende eineinhalbstöckige Häuschen mit steilen Satteldächern säumen die Straßen, die bis zu 800 Meter lang sind. Ein Haus schaut wie das andere aus, und so mancher Gast hat nach einem Spaziergang schon verzweifelt nach unserem Haus gesucht. Da hilft nur eins: Sich die Hausnummer merken! Doch auf den zweiten Blick offenbart sich der ganze Charme meines Viertels. Den machen vor allem die Gärten aus. Sehr große Gärten, gerade für eine Großstadt. 600 Quadratmeter sind das Minimum, einige Grundstücke weisen sogar 1000 Quadratmeter auf. Der Grund dafür liegt in der Geschichte der Niederfeld-Siedlung, die zwischen 1932 und 1938 – zunächst mit dem Namen „Randsiedlung“ - auf dem früheren Exerziergelände und Schwemmland des Rheins zwischen Blies und Maudacher Bruch entstand. „Die Planung der Randsiedlung - im Volksmund auch „Randfitz“ genannt – sah nun vor, dass die Siedlerparzellen von bauwilligen, kinderreichen, meist erwerbslosen Familien und Arbeitslosen in genossenschaftlicher Selbsthilfe bebaut werden sollten“, schreibt Heinz Trasch, selber ein Niederfelder, in der Festschrift „100 Jahre Gartenstadt“. Die Siedler sollten dank ihrer Gärten zum Selbstversorger werden. In ihren Siedlerverträgen wurden sie verpflichtet, Obst und Gemüse anzubauen und Kleinvieh zu halten. Und noch eine Besonderheit weist die Entstehungsgeschichte meines Viertels auf: Obwohl die Siedler die Häuser selbst gebaut hatten, mussten sie erst ihre „Eignung für die ordnungsmäßige Bewirtschaftung der Stelle“ beweisen, bevor ihnen die Stadt dann nach einiger Zeit die Siedlerstelle in Erbpacht übertrug. Je größer die Gärten, desto kleiner sind nach heutigen Maßstäben die Häuser. Doch die Bewohner erweiterten diese im Laufe der Jahrzehnte. Und das macht mein Viertel so abwechslungsreich. Jedes Haus ist anders. Da gibt es L-förmige Anbauten, Aufstockungen, Hinterhäuser, die schmaler, gleich breit oder breiter als das Vorderhaus sind, oder ein zweites Haus im Garten. Keine Spur von der gleichförmigen Architektur moderner Neubausiedlungen. Ich finde es jedes Mal spannend, wenn ich im Viertel zu Gast bin, denn auch von innen gleicht kein Haus dem anderen. Nicht zu vergessen die Bewohner, denn sie machen die gute Wohnqualität in meinem Viertel aus. Manche Nachbarn gehören zum Tagesablauf, auch wenn ich sie gar nicht kenne. Etwa die Hundebesitzerin, die bei jedem Wetter dreimal am Tag mit ihrem vierbeinigen Liebling an meinem Fenster vorbeigeht. Ohne mich zu grüßen. Ganz anders mein netter Nachbar Rudi Hoffmann, der immer stehenbleibt, zu erkennen versucht, ob ich wieder am Schreibtisch sitze und mir dann herzlich zuwinkt. Überhaupt die Nachbarn – Blumen gießen, Briefkasten leeren, Mülltonne rausstellen, alles kein Problem. Und Nachbarin Monika Werz bezeichnet sich selbst als die „Poststelle“ der Straße. Ansonsten schätze ich an meinem Viertel die Kombination von ruhigem Wohnen im Grünen und einer guten Infrastruktur. Wo gibt es schon in einer Industriestadt so viel Grün wie in der Gartenstadt? Als „Haustiere“ habe ich Eichhörnchen, die meinen Garten mit dem alten Baumbestand als Spielplatz nutzen. Mit der Buslinie 74 bin ich in einer knappen Viertelstunde am Rathaus-Center. Zwei Bäckereien, zwei Friseure, ein Metzger, Ärzte, Sparkasse und ein Schreibwarenladen sorgen für die Nahversorgung. Und Restaurants verschiedener Nationalitäten sind fußläufig zu erreichen. Dienstags gibt es sogar einen Mini-Wochenmarkt auf dem Platz an der Niederfeldstraße. Der ist das Herz des Viertels und beliebter Treffpunkt der Niederfelder, vor allem wenn die Eisdiele – für mich die beste Eisdiele der Stadt – geöffnet hat. Und das hat sie seit vorgestern! Und noch immer ist in meinem Viertel etwas vom alten Geist und Zusammenhalt der Siedler zu spüren – so haben die Niederfelder beispielsweise im vergangenen Jahr mit viel Engagement und der Gründung eines Fördervereins dafür gesorgt, dass ihr Gotteshaus, die vom Abriss bedrohte evangelische Johanneskirche, erhalten bleibt.

x