Ludwigshafen „Ich gebe nicht auf“

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Antonio Priolo ist fest entschlossen, Ortsvorsteher zu bleiben.

„Ich bin keiner, der einfach so verschwindet“, sagt Antonio Priolo. Und wer ihn kennt, der weiß, dass der 64-Jährige kein Mann ist, der sich wegduckt. Dennoch ist er zuletzt für einige Monate abgetaucht, ausgerechnet im Vorfeld der Ortsvorsteherwahl, die er am 16. Juni trotz Abwesenheit im „Nachsitzen“ gegen die grüne Kandidatin Gisela Witt mit fast 54 Prozent der Stimmen klar gewonnen hat. Quasi ohne Wahlkampf – ein großer Vertrauensbeweis für den Sozialdemokraten, den man als Energiebündel kennt und schätzt. Der Erfolg habe ihm Mut gemacht und Kraft gegeben, sagt er. Zuspruch, den er gebrauchen kann. „Ich wollte mich so nicht zeigen“, erklärt Priolo, warum er die Öffentlichkeit lange gemieden hat. Priolo sitzt hinter seinem Schreibtisch im Ortsvorsteherbüro. Er trägt Jeans und ein blau-weißes Karohemd. Das Gesicht ist hager, die Wangen sind etwas eingefallen. Seinen geschwächten linken Arm stützt er mit der rechten Hand. Den ersten Espresso hat der gebürtige Sizilianer bereits intus. Ständig kritzelt er mit dem Kugelschreiber etwas auf ein Stück Papier. Und bisweilen ringt er mit den Tränen, wenn er über seine Leidensgeschichte berichtet. „Ich bin soweit fit“, betont er fast schon trotzig. Denn Mitleid ist das Letzte, was er möchte. „Antonio ist ein Kämpfer. Ich gebe nicht auf. Ich werde wiederkommen“, ergänzt er wild entschlossen. Zumindest in körperlicher Hinsicht ist Priolo nicht mehr der gleiche wie früher. Er hat acht Kilo abgenommen, eine Narbe am kahlen Hinterkopf zeugt von dem schweren Eingriff, den er hinter sich hat. Ein paar Schritte kann er schon wieder tippeln, wenn ihm Mitarbeiterin Sabine Müller die Hand stützt. Sie hat ihn morgens zu Hause abgeholt. Zur konstituierenden Sitzung des Stadtrats am 24. Juni wurde Priolo mit einem Rollstuhl in den Saal geschoben. „Darin fühle ich mich beweglicher und freier“, sagt er. Zum Wahlerfolg hat ihm die Konkurrenz herzlich gratuliert. „Das hat mich sehr gefreut“, sagt er. Andere Kollegen waren angesichts von Priolos angeschlagener Verfassung geschockt. Der erste öffentliche Auftritt seit Wochen war kein einfacher. Radikal verändert hat sich Priolos Leben am 11. Februar. Damals verließ er mit dem Parteikollegen Hans-Joachim Weinmann die Stadtratssitzung, als dieser zu ihm meinte: „Antonio, was ist denn mit dir los? Du läufst so komisch.“ Priolo bemerkte, dass er sein linkes Bein etwas hinter sich her zog. Sein Hausarzt im Hemshof sagte: „Das gefällt mir gar nicht.“ Der Doc schickte ihn in die Notfallambulanz des Klinikums, wo Priolo eine erschütternde Diagnose erhielt: bösartiger Tumor in der rechten Hirnhälfte. „Der muss raus“, sagten die Mediziner und überwiesen ihn zu den Spezialisten ins Mannheimer Uniklinikum. Alles musste schnell gehen. „Als ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde, dachte ich, ich komme hier nie wieder raus“, erinnert sich Priolo. Er hatte Todesangst. „Im ersten Moment war ich fix und fertig“, erzählt er. „Blitzeinschläge“ in die Knochen Nur wenige Tage danach lag er auf dem OP-Tisch. Die Operation verlief relativ gut. Relativ deshalb, weil nur 80 Prozent des Tumors entfernt werden konnten. Hätten die Ärzte ihn komplett entnommen, wäre Priolo womöglich am ganzen Körper gelähmt gewesen. Der Rest des Geschwulstes wird per Chemotherapie bekämpft. Erste Bestrahlungen hat Priolo gut überstanden, außer, dass er sein Haar verlor. „Der Tumor ist jetzt klein und verkapselt“, sagt er. Ende des Monats startet der nächste Bestrahlungszyklus – 20 Tage, inklusive Erholungsphasen. Doch Priolo plagen aktuell ganz andere Probleme – im Bereich der linken Hüfte abwärts. „Ich hatte eigentlich schnelle Fortschritte gemacht“, berichtet er. Mit seiner Partei drehte er sogar ein Wahlkampf-Video. Dann ereilte ihn der nächste Rückschlag – in der Reha im Schwarzwald. Weil sein Immunsystem anfällig war, erwischte Priolo eine Gürtelrose, die ihm höllische Schmerzen bereitet. Er beschreibt sie als „Blitzeinschläge“ in die Knochen. „Das wünsche ich wirklich niemandem.“ Eine spezielle Schmerztherapie soll nun helfen. Er glaubt an deren Erfolg: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich weiß, ich brauche dafür Geduld, die ich eigentlich nicht habe.“ Plötzlich klingelt es. Priolos Sekretärin öffnet die Tür. Ins Büro stürmen Kinder der KTS Nord – aus der Venus- und der Marsgruppe. Schüchtern reichen sie Priolo eine Collage. Auf dem gelben Pappkarton sind Bilder zu sehen, die zeigen, wie Priolo mit den Kids experimentiert. „Das wollten wir ihnen vorbeibringen. Schön, dass Sie als Ortsvorsteher für uns zuständig sind“, sagt eine der Betreuerinnen. Priolo lächelt. Er ist gerührt. „Mir liegen die Kinder besonders am Herzen“, sagt er, als die Überraschungsgäste wieder weg sind. Vor einem Jahr hat er 150 Kita-Kinder auf ein Eis eingeladen. Schon legendär sind Priolos Orangen-Lieferungen per Lkw in alle Kindergärten des 23.000 Einwohner zählenden Stadtteils. Er besucht sie regelmäßig. „Das sind die Pluspunkte des Lebens. Ich bin gerne da für meinen Stadtteil“, sagt Priolo. Die Geste der Mädchen und Jungen bestärkt ihn spürbar in seiner Haltung. „Auch andere haben einen Tumor überlebt. Ich packe das.“ Einwurf Zur Person Antonio Priolo ist am 16. Juni in die dritte Amtszeit gewählt worden. Seit zehn Jahren gehört er auch dem Stadtrat an, seit 25 Jahren ist er SPD-Mitglied. Er ist verheiratet und hat eine 42-jährige Tochter, die mit ihrer Familie in Ladenburg lebt. Die Enkel Luca und Fabio sind 13 und 15 Jahre alt. Am 2. März wurde Priolo 64. Seit Oktober ist er Rentner. Zuvor war er als Personaldisponent bei der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft (RNV) beschäftigt. Geboren ist er in einem Ort in der Nähe von Taormina an der Ostküste Siziliens. Sein Vater kam 1962 nach Deutschland. Er war Tierpfleger beim Zirkus Sarrasani. Bei einem Gastspiel in Mannheim wurde er von einem Elefanten verletzt und musste länger im Krankenhaus behandelt werden. Der Zirkus zog weiter. Priolo senior fand einen Job in einer Gießerei in Mannheim-Luzenberg und holte die Familie 1969 nach, die schließlich in Ludwigshafen ihre Heimat fand.

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