Ludwigshafen Das kleine Silberarmband muss weg

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„Wir müssen erst einmal wie ein Berichterstatter den Text wahrnehmen, danach fängt die Schauspielerei an“, sagt Virginia Vitéz. Nein, sie beschreibt damit nicht die Proben für ein Theaterstück, sondern den ganz normalen Klavierunterricht. Wenn ihre Schüler ein neues Stück erarbeiten, lernen sie zunächst den Text, also den Notentext. „Das dauert etwa einen Monat“, erzählt Klavierschülerin Friederike Schubert. Und ihre Lehrerin ergänzt: „Danach kann sie etwa 80 Prozent des Stückes, und die Detailarbeit beginnt“. Es geht darum, den Notentext genau zu lesen und umzusetzen. Da wollen Noten gebunden oder betont gespielt werden, mal lauter, mal leiser. Virginia Vitéz ist Fachgruppenleiterin für Begabten- und Studienförderung und hat zudem noch Aufgaben in der Fachgruppe Tasteninstrumente übernommen. Sie greift im Unterricht selbst in die Tasten. So kann sie ihrer Schülerin demonstrieren, wie sie sich die Umsetzung einzelner Takte genau vorstellt. „Du kennst mich, ich habe einen Extrawunsch an dich“, sagt sie lachend und wandert mit dem Bleistift zur nächsten komplizierten Stelle. Denn auch die Theorie kommt nicht zu kurz. Friederike Schubert spielt seit drei Jahren Klavier und übt gerade an der Polonaise Nr. 1 von Chopin. „Ich mag die Musik und kann viel damit anfangen“, sagt die Schülerin, die die 10. Klasse am Theodor-Heuss-Gymnasium besucht. Für sie ist das tägliche Üben keine Strafe, sondern Entspannung pur. Neben Klavier spielt die 16-Jährige außerdem noch Cello. Für den Klavierunterricht hat sie sich entschieden, um für ein mögliches Musikstudium gerüstet zu sein. „Außerdem kann ich auf dem Klavier Stücke aus dem Radio nachspielen, das geht beim Cello nicht“, sagt sie. Doch bevor sie sich an das Tasteninstrument setzen darf, erspäht der scharfe Blick von Lehrerin Virginia Vitéz ein kleines Silberarmband am rechten Handgelenk der Schülerin, die ermahnt wird, das Armband abzulegen. Die Pianistin hat nicht etwa Angst, dass das Klavier oder die Tasten verkratzt werden. „Durch das Armband ist auf einer Seite mehr Gewicht, das ist nicht gut“, erläutert sie. Die Stunde beginnt mit Fingerübungen, dann geht es an die Stücke. Hier werden in der Regel zwei verschiedene Stücke gleichzeitig erarbeitet, damit die Schüler beim Üben Abwechslung haben. Die Pädagogin passt ihren Unterricht dabei individuell an ihre Schüler an. „Wenn Friederike zum Beispiel andere Schüler auf dem Klavier begleitet, lege ich den Schwerpunkt darauf“, nennt sie ein Beispiel. Denn das Zusammenspiel mit anderen wird in der Städtischen Musikschule sehr gefördert, um der Isolation der jungen Pianisten vorzubeugen. Neben der Begleitung anderer Instrumente, zum Beispiel bei Konzerten oder auch Wettbewerben, bietet die Musikschule regelmäßig verschiedene Konzertabende für die Tasteninstrumente an, an denen die jungen Pianisten sich einem Publikum vorstellen können. Virginia Vitéz lobt Friederike als „pianistische Begabung.“ Die Schülerin spielt noch in zwei kleinen Ensembles, dem Musikschul-Orchester und begleitet ein Blechbläserensemble auf dem Klavier. Keine Gefahr also, dass sie mit ihrem Klavierspiel isoliert sein könnte. Das Erlernen von Klavier und auch Keyboard ist so populär, dass die Nachfrage nicht gedeckt werden kann und immer eine kleine Warteliste besteht. 298 Schüler lernen aktuell Klavier, 80 Keyboard. Unterrichtet werden sie von zwölf Lehrern an 13 Standorten, wobei der Keyboard-Unterricht in der Regel als Gruppenunterricht, der Klavierunterricht als Einzelunterricht erfolgt. „Und wir haben sogar vier erwachsene Schüler“, berichtet der Fachgruppenleiter für Tasteninstrumente und stellvertretende Schulleiter Folker Hafner. Pro Semester seien es etwa 30 neue Schüler im Fachbereich Tasteninstrumente. „Im Schnitt sind die Kinder bei der Anmeldung sechs bis acht Jahre alt“, weiß Hafner. Und um den Einstieg in das Klavierspiel zu erleichtern, leiht die Musikschule seit kurzem Klaviere und E-Pianos für zu Hause aus.

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