Speyer Spannender als gedacht

Vor der ehemaligen Tintenfabrik in Waldsee: Buchautor Helge Geißler.
Vor der ehemaligen Tintenfabrik in Waldsee: Buchautor Helge Geißler.

„Nudel und Tinte“ heißt das neueste Buch des Waldseer Heimatforschers Helge Geißler. Nach und nach hat der 50-Jährige dem Leben im Dorf in den vergangenen 150 Jahren nachgespürt und es in Büchern dokumentiert. Zuerst widmete er sich der Landwirtschaft, dann dem Handwerk, und nun hat er sich die Kleinindustrie im Ort näher angeschaut. Dass das so spannend werden würde, hätte er am Anfang nicht gedacht.

Begonnen hat alles damit, dass Helge Geißler nach einem Eigentümerwechsel einen Blick in die alte Tintenfabrik in Waldsee werfen durfte. Das markante Gebäude mit dem großen Schornstein an der Ecke Ludwigstraße/Schillerstraße hat ihn schon lange interessiert, nur konnte ihm niemand so wirklich sagen, was eigentlich eine Tintenfabrik ist. Ein Blick in die Fabrikräume zeigte ihm: Herzstück war ein Kessel, der von einem Kanonenofen geheizt wurde. Dafür also der Schornstein. Dazu noch ein Tisch und Stühle zum Abfüllen der Tinte in Gläser und zum Aufkleben der Etiketten sowie Lagerräume, Büros und ein kleines Labor. Das ist die ganze Tintenfabrik, die den Inhabern, der Familie Zickgraf, einigen Wohlstand brachte. Das Interesse war geweckt, Helge Geißler begann zu recherchieren. Erst im Heimatmuseum, in dem er sich ehrenamtlich engagiert, dann im alten Gemeindearchiv, das er betreut, und schließlich im Landesarchiv. Das Wälzen alter Unterlagen sei aber nur eine Säule seiner Recherchen. Mindestens genauso gerne unterhalte er sich mit Zeitzeugen, sagt der Waldseer. Im Fall der Tintenfabrik war das die unlängst hochbetagt verstorbene Gretel Kochner, eine Nachbarin der Tintenfabrik. Nachfahren der Inhaberfamilie hat Helge Geißler nicht gefunden. So setzte der Heimatforscher Puzzleteil für Puzzleteil zusammen und rekonstruierte die Geschichte der Fabrik. Und nicht nur das: Er hat auch so manche Anekdote am Rande niedergeschrieben und einen Exkurs über die politische Aktivität von Matthäus Zickgraf gemacht. Der hatte nämlich zusammen mit Karl Anton Rohrbacher 1902 die Pfälzische Tinten-, Vaseline und Lederfettfabrik in der Heinestraße gegründet und sie an die heutige Stelle verlegt und das bäuerliche Anwesen dort ausgebaut. Zickgraf war auch Bürgermeister und eines der führenden Mitglieder der ersten pfälzischen Separatistenbewegung. Im Jahr 1971 wurde die Tintenfabrik geschlossen. Als die Recherchen zu dem Unternehmen abgeschlossen waren, beschloss Helge Geißler, nun auch noch Informationen zur Waldseer Nudelfabrik zusammenzutragen. Auch wenn deren Gebäude an der Ecke Rehhütterstraße/Franz-Schubert-Straße längst nicht mehr stehen, ist „die Nudel“ immer noch ein fester Begriff in Waldsee. Was Geißler aus den Archiven zutage gefördert hat, ist hochinteressant. Ursprünglich hatte der Waldseer Kaufmann Georg Hauck 1869 sein Guano-Lager erweitern wollen und dafür das Grundstück in der Rehhütterstraße erworben. Nur zwei Jahre später wollte er an der Stelle doch lieber Stärke aus Abfallkartoffeln herstellen. Das Genehmigungsverfahren mit Anträgen, Gutachten, Gegengutachten und Präzedenzfällen ist amüsant zu lesen und dreht sich vor allem um die Frage: Wohin mit dem Abwasser? 1874 wurde dann endlich die erste Stärke hergestellt. Doch das Geschäft damit war wohl nicht so lukrativ, wie es sich Georg Hauck vorgestellt hatte. Deshalb wurde aus der Firma kurzerhand eine Nudelfabrik gemacht. Lange Zeit bot „die Nudel“ jungen Waldseer Frauen einen Arbeitsplatz. In seinem Buch lässt Autor Geißler das „Nudelmädchen“ Helene Stemski und Gerd Burkhardt, einen Nachkommen des letzten Fabrikbesitzers, zu Wort kommen. 1957 wurde die Fabrik stillgelegt und in Sozialunterkünfte umgebaut. 1982 wurde das Produktionsgebäude abgerissen, ein paar Jahre später auch das Wohnhaus. Nudel und Tinte gibt es schon lange nicht mehr in Waldsee. Aber in der Versenkung müssen diese beiden Waldseer Unternehmen dank des Buchs von Helge Geißler nicht verschwinden. Lesezeichen Das Buch „Nudel und Tinte“ von Helge Geißler ist zum Preis von 13,50 Euro im Rathaus Waldsee erhältlich.

x