Ludwigshafen Erkundungen im Klangraum

Über den Tasten schwebend: Marcin Wasilewski.
Über den Tasten schwebend: Marcin Wasilewski.

Klaviertrios bilden diesmal einen auffälligen Schwerpunkt im Programm von Enjoy Jazz. Der Israeli Shai Maestro und der Grieche Nikolas Anadolis sind eingeladen, die australischen Ambient-Jazzer The Necks, die deutschen Pianisten Michael Wollny und Pablo Held und der Amerikaner Aaron Parks. Mit dem Marcin Wasilewski Trio war ein weiteres, ganz herausragendes Ensemble in Ludwigshafen zu erleben.

Eigentlich sollte auch Tomasz Stanko bei der 20. Auflage von Enjoy Jazz dabei sein. Aber diese Pläne wurden tragisch durchkreuzt, der polnische Trompetenstar verstarb Ende Juli 76-jährig in Warschau. Stanko war ein halbes Jahrhundert lang einer der stilprägenden Musiker des europäischen Jazz. Und er hatte besondere Bedeutung für ein junges polnisches Klaviertrio, das er 2001 als Begleitband für ein neues Album beim Münchner ECM-Label ins Studio holte. Die drei jungen Polen, allesamt eine Generation jünger als ihr prominenter Mentor, wurden mit einem Schlag bekannt, gingen mit Stanko auf Tour und hatten mit ihm 2006 auch ihren ersten Auftritt bei Enjoy Jazz. Es war also nicht verwunderlich, dass Pianist Wasilewski, Kontrabassist Slawomir Kurkiewicz und Schlagzeuger Michal Miskiewicz ihren Auftritt im BASF-Gesellschaftshaus mit einem Moment des Gedenkens und einer Komposition von Stanko eröffneten. „Song for Sarah“ ist eine traumverlorene Ballade, in der Originalversion geprägt von Stankos samtig-melancholischem Trompetenton. Beim Klaviertrio ohne Blasinstrument wird daraus ein weiter, offener Klangraum, vom Kontrabass an seinen Rändern markiert, vom Schlagzeug im Inneren in unauffällig flirrender Bewegung gehalten, dazwischen die sparsam gesetzten melodischen Erkundungen des Pianos. Damit befindet man sich auch schon mittendrin im wunderbaren Klangkosmos dieses perfekt harmonierenden Trios. Um ein Gemeinsames geht es hier, einen Raum aus Melodien und Rhythmen, dessen fragile Statik nur Bestand hat, wenn keiner allzu sehr vorprescht, das Virtuose Teil der Musik ist und nicht Demonstration technischer Meisterschaft. Das funktioniert in den ruhigen, von einem, wenn man will, osteuropäisch-wehmütigem Ton getragenen Balladen, aber auch bei den schnellen, bis zu atemberaubender Intensität getriebenen Stücken. Hier zeigt Wasilewski, dass er die Finger auch in Hochgeschwindigkeit sicher über die Tastatur fliegen lassen kann. Selbstzweck ist dies in keinem Moment. Dafür sorgen schon die beiden anderen, die Melodien übernehmen, Improvisationen weiterdenken, Rhythmen verzögern oder beschleunigen. Dass der große Bill Evans eines der Vorbilder Wasilewskis ist, blitzt hier immer wieder durch. Seit dem Teenageralter kennen sich die drei. Mit 15 gründeten Wasilewski und Kurkiewicz ihre erste Jazzband, Schlagzeuger Miskiewicz kam drei Jahre später dazu. Als Stanko auf das talentierte Trio aufmerksam wurde, hatten sie in Polen schon fünf Alben veröffentlicht. 25 Jahre besteht das Trio inzwischen, das traumwandlerisch sichere Zusammenspiel lässt sich also aus einer langen freundschaftlichen Verbundenheit erklären. Die meisten Stücke des Repertoires stammen aus der Feder des Pianisten, in Ludwigshafen spielten sie auch eine poetisch-reduzierte Version des Prince-Songs „Diamonds and Pearls“ und eine klassische Komposition, Johann Sebastian Bachs Präludium c-Moll. Daraus machten sie aber keinen Barock-Swing à la Jacques Loussier. Das eingängige Thema war nur Ausgangspunkt einer improvisatorischen Reise, die weit weg führte bis an die Ränder harmonischer Freiheit. Es kann also sehr intensiv werden bei diesem Jazzensemble, und Wasilewski, der oft mit tief gekrümmtem Rücken so behutsam über den Tasten schwebt, als scheue er deren Berührung, ruckelt nervös auf dem Klavierhocker, spannt den Oberkörper wie ein Flitzebogen und walkt die Tastatur wie einen Hefeteig. Auch wenn Kurkiewicz und Miskiewicz gleichzeitig für mächtig Druck sorgen, bleibt alles unter Kontrolle, bekommt der perfekt gebaute Klangraum keinerlei unschönen Risse. Tosender Applaus im voll besetzten Saal.

x