Rhein-Pfalz Kreis DLRG Neuhofen: „Deutschland wird zum Nichtschwimmer-Land“

Holger Singpiel blickt mit gemischten Gefühlen auf den Sommer 2018 zurück. Seine DLRG-Ortsgruppe musste viele Vermisste in Bades
Holger Singpiel blickt mit gemischten Gefühlen auf den Sommer 2018 zurück. Seine DLRG-Ortsgruppe musste viele Vermisste in Badeseen suchen. Aber die Motivation in der Truppe ist hoch. Das macht ihn auch stolz.

Interview: Es ist ein harter Sommer für die DLRG-Ortsgruppe Neuhofen gewesen, die Badeunfälle an den Seen häuften sich. „Belastend“, sagt der Vorsitzende Holger Singpiel, „irgendwann sitzt man daheim und wartet, dass der Piepser wieder losgeht.“ Fünf Todesfälle gab es allein in Neuhofen und Böhl-Iggelheim. Doch all diese schrecklichen Ereignisse sind auch ein Ansporn.

Herr Singpiel, sind Sie froh, wenn dieser Sommer komplett vorbei ist?

Wir sind froh, wenn die Einsatzdichte zurückgeht. So ein Jahr wie dieses hatten wir noch nicht mit jetzt 16 Einsätzen seit Mai. Darunter viele Taucheinsätze und Vermisstensuchen. Wie ist nach so vielen Einsätzen die Stimmung in der Mannschaft? Zum Schluss sind die Jungs und Mädels auf dem Zahnfleisch gegangen. Das muss man ganz klar sagen. Bei einer Leichenbergung ist es ja nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Belastung. Die Aktiven sind an ihre Grenzen gestoßen. Welcher Einsatz war der schwierigste? Ich denke, es war der Einsatz hier an der Steinernen Brücke. Weil es uns direkt an unserer Wache betroffen hat. Aber wir hatten viele Einsätze, die sehr speziell waren. Angefangen hat es mit Böhl-Iggelheim und den drei Toten auf einen Schlag. Das ist schon sehr selten. Das war eine große psychische Belastung. Von der hatten wir uns gerade ein wenig erholt, dann kam Neuhofen, was uns sehr lange beschäftigt hat. Elf Tage Einsatzzeit, auch das ist eine psychische Belastung, die beim Tauchen ohnehin sehr groß ist. Hinzu kommt die Dichte der Einsätze. Irgendwann sitzt man daheim und wartet, bis der Piepser wieder losgeht. Wie gehen Ihre Einsatzkräfte mit dieser Belastung um? Wir haben das Angebot der Nachgespräche mit externen Kräften von der Psychosozialen Notfallversorgung der Stadt Ludwigshafen. Wir bieten es den Leuten an und zwingen es niemandem auf. Wir beobachten unsere Aktiven, weil sie sich in der Regel nicht selbst melden. Sobald sich ihr Verhalten ändert, sprechen wir sie darauf an. In diesem Jahr hat sich eine Kollegin gemeldet, die selbst bemerkte, dass sie sich anders verhält. Was sind das für Verhaltensänderungen? Das kann alles sein. Von vollkommener Verschlossenheit und Rückzug bis hin zu Aggressionen. Es kann völlig harmlos wirken und trotzdem drastisch sein. Im Juli teilte die DLRG mit, dass bereits mehr als 300 Menschen in Deutschland in diesem Sommer bei Badeunfällen gestorben sind. Wer ist besonders gefährdet, unterzugehen? Es war eine Durchmischung, von Kindern bis zu älteren Personen. Es waren Menschen mit Vorbelastung darunter oder Flüchtlinge, die die Gefahren nicht einschätzen können und Nichtschwimmer sind. Es gibt da nicht die eine Personengruppe. Was sind die Hauptgründe dafür, dass Menschen untergehen? Ganz oft ist es Übermut. Vor allem Männer überschätzen sich gerne. Oder Schwimmer, die alleine schwimmen gehen. Wir raten immer dazu, entweder gemeinsam schwimmen zu gehen oder eine Schwimmhilfe dabei zu haben. Gab es für Sie auch Einsätze mit positivem Ausgang? Wir hatten einen gebrochenen Arm an der Schlicht, da konnten wir helfen. Grundsätzlich suchen wir ja nicht nur Vermisste, sondern leisten auch Erste Hilfe. Es sind sehr viele positive Aspekte, die den schlimmen Ereignissen gegenüber stehen. Wie wichtig sind erfolgreiche Rettungen oder kleine Hilfeleistungen für die Moral in der Truppe? Zum einen ist es wichtig, den Dank dafür zu bekommen, dass man sich eingesetzt hat – auch wenn es leider nicht zur Rettung gereicht hat. Aber es ist genauso wichtig, ein positives Feedback von den Badegästen zu bekommen, wenn wir einfach nur vor Ort sind und bei einem Wespenstich helfen. Allein unsere Anwesenheit gibt den Menschen am See Sicherheit. Wie bringt man den Einsatzkräften bei, dass auch eine Leichenbergung ein erfolgreicher Einsatz war? Wie schwierig das ist, lernen die Aktiven schon bei der Ausbildung. Sie wissen, was das Ziel ist. Und das ist bei einer Suche erst einmal, die vermisste Person zu finden. Das Wiederbeleben ist Aufgabe des Rettungsdienstes. Unser Ziel ist dann für diesen Moment erreicht. Welche Lehren zieht die DLRG aus diesem Sommer? Wir haben erkannt, dass wir personell gut aufgestellt sind. Grundsätzlich gab es keinen Einsatz, bei dem wir sagen, dass es daneben gegangen ist. Die Zusammenarbeit mit Feuerwehr, Rettungsdiensten oder anderen DLRG-Ortsgruppen, das lief alles gut. Auf der anderen Seite geht es um die Prophylaxe und Schwimmausbildung. Da gibt es noch viel zu tun. Die Nichtschwimmerquote muss so gering wie möglich sein. Wie gut können die Menschen bei uns noch schwimmen? Es gibt Forsa-Umfragen der DLRG, die zeigen, dass mittlerweile mehr als 50 Prozent der bis Zehnjährigen nicht oder nicht ausreichend gut schwimmen können. Die Entwicklung geht dahin, dass dieser Anteil immer größer wird. Unser Gesamt-Bundesvorsitzender Achim Haag hat gesagt: Deutschland verkommt so langsam zu einem Nichtschwimmer-Land. Dem muss ich mich anschließen – aber dem muss man entgegenwirken. Woran liegt es, dass Deutschland ein Nichtschwimmer-Land wird? Es kommen immer mehr Spaßbäder auf, aber da ist ein Lehrbetrieb eben nicht möglich, weil die entsprechenden Becken fehlen. Umgekehrt werden pro Jahr in Deutschland 100 Hallenbäder geschlossen. Aber bislang nicht im Rhein-Pfalz-Kreis. Gott sei Dank nicht. Aber auch wir müssen immer wieder um Ausbildungszeiten in den Kreisbädern kämpfen. In Römerberg wird das Bad saniert und Ende des Jahres oder Anfang 2019 wieder in Betrieb genommen. Dort waren wir aktiv und mussten nun nach Schifferstadt ausweichen. Dadurch haben wir aktuell weniger Kapazitäten für die Ausbildung. Wie drückt sich das aus? Wir haben über 100 Anmeldungen von Kindern für Schwimmkurse, die wir nicht erfüllen können. Wir haben pro Jahr drei Kurswechsel – aber es ist klar, dass wir diese Warteliste nicht abarbeiten können. Wann ist man ein Nichtschwimmer? Nichtschwimmer ist nicht nur, wer überhaupt keine Techniken beherrscht, sondern auch, wer unsicher im Wasser ist. Reicht das Seepferdchen nicht? Das ist oft auch eine falsche Sicherheit für die Eltern. Für das Seepferdchen müssen Kinder eine Bahn durchschwimmen können. Aber selbst wenn sie dieses Abzeichen haben, sind Kinder noch lange kein Schwimmer. In den Kursen merken wir immer wieder, dass die Grundtechniken einfach fehlen, um sich auch mal länger über Wasser halten zu können. Alles unter dem Bronze-Abzeichen ist Nichtschwimmer. Warum muss man schwimmen können? Viele wollen eh nur planschen. Schwimmen ist die zweitliebste Freizeitbeschäftigung der Deutschen nach dem Fahrradfahren. Schwimmen ist etwas Essentielles. Um baden zu gehen, muss man schwimmen können. Auch in Spaßbädern lauern Gefahren, ein Wellenbecken etwa. Aber die meisten lernen das Schwimmen doch in der Schule. Oder? Das ist ein gesetztlicher Auftrag in Grundschulen. Aber auch da kann es offenbar nicht immer realisiert werden. Sei es, weil an den Schulen Lehrer mit den notwendigen Qualifikationen fehlen oder weil die Kapazitäten in den Bädern fehlen. Kinder lernen schneller, heißt es immer wieder. Ist es schwerer, einem Kind das Schwimmen beizubringen oder einem Erwachsenen? Es ist kein großer Unterschied. Die Frage ist, ob sich Erwachsene aus einem Schamgefühl heraus überhaupt trauen, zuzugeben, dass sie nicht schwimmen können. In der Forsa-Umfrage 2017 gab jeder zweite Erwachsene an, Nichtschwimmer beziehungsweise kein guter Schwimmer zu sein. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein. Wer wiederbelebt wird und später stirbt, taucht in der DLRG-Statistik zu Badeunfällen nicht auf. Das schönt die Statistik ziemlich arg. Im Niederwiesenweiher und der Steinernen Brücken wären vier der fünf Toten „gerettet“. Prinzipiell gilt es als Rettung, wenn die Person an den Rettungsdienst übergeben wird und wiederbelebt wurde. Später verstorben heißt dann im Regelfall im Krankenhaus, man spricht von sekundärem Ertrinken. Dann taucht die Person dort in der Statistik auf. Diese Personen gelten zunächst als gerettet, weil sie wiederbelebt wurden, ja. Wir geben das so an den DLRG-Bundesverband weiter, der die Zahlen erfasst. 2017 hatte die DLRG-Statistik 404 Badetote. Und jeder dieser 404 Toten ist einer zu viel. Bei den hiesigen Badeunfällen gab es Gründe: Alkohol, Herzprobleme. Sind solche Vorfälle dann überhaupt zu verhindern? Es wird nie zu 100 Prozent vermeidbar sein. Die Menschen wissen nie ganz genau, ob sie irgendwie vorbelastet sind. Und mit zwei oder drei Promille schwimmen gehen zu wollen, ist eine klassische Überschätzung. Man schätzt die eigene Verfassung falsch ein, geht ins Wasser und dann passiert es. Die DLRG Neuhofen überwacht die Schlicht und den Badesee Steinerne Brücke. Der Niederwiesenweiher in Böhl-Iggelheim etwa ist wegen Personalmangels nicht besetzt, weder von DRK noch DLRG. Ist das nicht fatal? Es ist nicht realistisch, dass alle Gewässer rund um die Uhr überwacht werden können. Jeder Badegast ist da auch ein bisschen in der Pflicht: Jeder kann sich im Internet informieren, welche Seen bewacht sind. Dort kann man unter Aufsicht schwimmen gehen. Der Anspruch, alle Gewässer zu besetzen, ist nicht erfüllbar. Wir reden hier von einem Ehrenamt. Es ist für uns jedes Jahr ein Kampf, den Wachplan an beiden Gewässern zu füllen.

Wegen Badeunfällen gesperrte Seen waren in diesem Sommer fast schon ein gewohntes Bild. Hier der See Steinerne Brücke in Neuhofe
Wegen Badeunfällen gesperrte Seen waren in diesem Sommer fast schon ein gewohntes Bild. Hier der See Steinerne Brücke in Neuhofen.
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