Landau „Wir waren plötzlich alle Fritz Walter“

Vier Jahre lang waren die Ungarn ungeschlagen, im Vorrundenspiel hatten die Deutschen gegen sie noch 3:8 verloren. Daher war die Finalteilnahme allein schon die große Überraschung, beim Endspiel befürchteten die meisten deutschen Fans erneut eine hohe Niederlage. Schadensbegrenzung war angesagt. Doch es kam bekanntlich völlig anders. , der spätere Landauer Kämmerer, sollte an diesem Tag mit seiner Band im „Saal Christ“ in Eschbach zum Tanz aufspielen. „Wir waren überflüssig, alle hingen an dem kleinen Fernsehgerät, nach dem Spiel wurde auf der Straße getanzt – ohne Musik, die Menschen schrien, sangen es war der reinste Wahnsinn.“ Der Landauer Fußballer Peter Dell erlebte das Spiel in der Gaststätte „Alte Brauerei Stöpel“ seines Vaters in der Martin-Luther-Straße. „Alle unsere drei Räume waren proppenvoll, wildfremde Menschen fielen sich nach dem Spiel in die Arme, um den Hals.“ Der spätere Sparkassenchef , damals ein achtjähriger Steppke, erinnert sich: „In der Gaststätte meines Onkels in Ochtendung wurden zur Vergrößerung des Saals einfach die Türen ausgehängt, ich saß auf einer Treppe und habe wenig gesehen, aber an den Schreien, den Jubelchören im Saal mitbekommen, dass wir Fußballweltmeister geworden sind.“ Er weiß auch noch, „dass wir dann einen freien Schultag bekamen und einen Aufsatz über das Endspiel schreiben mussten, das Thema uns allen aber sehr gefallen hat.“ Auch in der „Bavaria“ an der Ecke Martin-Lutherstraße/Kronstraße, das von Bernhard Heim geführt wurde und lange das Clublokal des ASV Landau war, war die Hölle los. Immerhin spielte der ASV damals in der Oberliga Südwest, der höchsten deutschen Fußballklasse, und er war erst an Weihnachten 1953 gegen den damaligen Deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern angetreten. „Wir unterlagen zwar deutlich, aber wir konnten ja nicht ahnen, dass wir gegen fünf Spieler unser Meisterschaftsspiel bestritten, die sieben Monate später Weltmeister wurden“, erinnerte sich , der in der ASV-Abwehr spielte. Der Queichheimer , damals in der 1. Mannschaft des FV Queichheim, hatte sich an diesem Sonntag schon frühzeitig im Tanzsaal der Gaststätte „Zum Ochsen“ eingefunden, um sich einen guten Platz bei der Fernsehübertragung zu ergattern. „Was da ablief, kann ich mit Worten allein nicht schildern, wir Fußballer waren plötzlich alle Fritz Walter, Ottmar Walter, Werner Kohlmeyer, Werner Liebrich und Horst Eckel.“ , emeritierter Professor aus Landau, Autor des gerade erschienenen Buches „60 Jahre: Das Wunder von Bern“ (wir berichteten): „Am Sonntag, 4. Juli 1954, fuhr ich, damals elf Jahre alt und gerade im ersten Schuljahr im Gymnasium, mit dem Hammecker (Anmerkung der Redaktion: mit der Dampflok) von meinem Heimatort Winden nach Bergzabern, in der Hoffnung, dort das Finale in der Bahnhofswirtschaft im Fernsehen miterleben zu dürfen. Das Lokal war bis auf den letzten Platz besetzt und ich wurde sofort zurückgewiesen: ,So Kaffruse wie du kummen do nit nei!’ So musste ich mich mit einem Platz außerhalb der Gaststätte begnügen und stand auf einem Fensterbrett, gefühlte 30 Meter vom Fernsehgerät entfernt. Neben mir stand ein Mann und klärte mich auf: ,Wann die weiße Punkte noch rechts läfen, des isch immer gut fer uns.’ Nach dem Spiel sprangen die Männer auf, lachten, schrien und umarmten sich.“ Der Filmemacher aus Annweiler: „Ich wohnte damals _ 1954 war ich 13 Jahre alt - in dem großen Block am Ende der Cornichonstraße in Landau, gegenüber den französischen Kasernen. Wir waren dort eine Jungenclique von leidenschaftlichen Fußballspielern. Der Wohnblock war bekannt als Fußballer-Block: Die ASV-Oberligaspieler Prinz, Kollenda und Frederking lebten dort – unsere großen Vorbilder. Selbstverständlich für mich war somit, dass ich das WM-Finale sehen musste. Schon Stunden vor dem Anpfiff machte ich mich in der Innenstadt auf die Suche nach einem freien Platz in einer jener Gaststätten, in denen das Endspiel im Fernsehen gezeigt wurde. Vergebens, alle Kneipen waren überfüllt. Auch vor den Schaufenstern der Radio- und Fernsehgeschäfte hatte ich kein Glück. Da fiel mir als letzter Ausweg ein, dass der Vater von einem meiner Spielkameraden der Wirt der Gaststätte ,Kanone’ in der Cornichonstraße war. Aber auch dort gab es kein freies Plätzchen mehr. Verzweifelt flehte ich den Wirt mit weinerlicher Stimme an, ob er mich nicht doch irgendwo unterbringen könne. Kurzentschlossen schnappte er mich, drückte mich durch die dicht sitzende Gästeschar und steckte mich in einen großen eisernen Garderobenständer in der Ecke der Gaststube: ein mannshohes Gestell aus gebogenen, sich nach oben hin öffnenden Metallstäben. Dort war ich das Spiel über eingeklemmt wie ein Leichtmatrose im Ausguck-Korb eines Segelschiffes, mit den Füßen stand ich auf dem Eisenring in der Mitte des Kleiderständers, mit den Händen hielt ich mich an dessen Verstrebungen fest. Mit zunehmender Spieldauer schmerzten Beine und Arme, doch ich hielt durch und ich war dabei.“ , bis Ende Mai 65 Jahre lang Archivar der Fußballabteilung des ASV Landau, hatte Glück: Bei drei WM-Spielen in der Schweiz war er dabei. Der damalige ASV-Geschäftsführer Jakob Wittauer war mit seiner ganzen Familie dorthin gefahren und hatte ihn mitgenommen. „Ich sah den 7:2-Vorrundensieg gegen die Türkei, das vernichtende 3:8 im Zwischenrundenmatch gegen Ungarn und das brillante 6:1 im Halbfinale gegen Österreich.“ Doch für das Finale gab es keine Karten mehr. „Ich habe das Endspiel im Vereinshaus des ASV, der Gaststätte Bavaria, gesehen. Wirt Bernhard Heim hatte einen eigenen Fernsehapparat. Für jeden Sitzplatz verlangte er eine Mark, aber das Geld wurde mit der Verzehrrechnung verrechnet. An die 100 Leute sahen zu. Nach dem Abpfiff rannten alle hinaus ins Freie und jubelten, nachdem sie anfangs der Übertragung betretene Gesichter gemacht hatten. Aber jedes deutsche Tor verbesserte die Stimmung und löste riesigen Jubel aus.“ dagegen musste als Kellnerin in der damaligen Landauer Gaststätte „Haardter Weinstube“ an der Ecke Reiterstraße/Marktstraße hart arbeiten. „Beim 0:2-Stand war der Umsatz noch gering, doch schon beim Anschlusstreffer wurden die Bierbestellungen immer mehr und steigerten sich beim 2:2 so, dass ich fast nicht mehr mitkam beim Bedienen.“ Anfangs wurde jeweils ein Glas Bier bestellt, beim 2:2 wurde schon aus Schoppengläsern getrunken, „doch nach dem 3:2 wurde nur noch Bier aus Steinen, aus Ein-Liter-Maßkrügen, genossen, und es wurde der beste Trinkgeldtag aller Zeiten für mich“. Einige Tage später war die Hölle los: Die fünf Lauterer Weltmeister fuhren mit einem Sonderzug – genauer: einem mit Girlanden geschmückten Triebwagen – nach Kaiserslautern zurück, der in Wörth einen kurzen Halt einlegte. Daran erinnert sich der bekannte Landauer Boxer der Nachkriegszeit, , der von einer „Riesenmenge jubelnder und schreiender Menschen am Bahnhof“ spricht. Kurz darauf der nächste Zwischenstopp in Landau: Tausende Südpfälzer drängten sich Schulter an Schulter. Die Dächer abgestellter Eisenbahnwaggons wurden kurzerhand zu Tribünen umfunktioniert, alle warteten auf den roten Sondertriebwagen, auf die Helden von Bern, die mit entsprechendem Jubel empfangen wurden. Nochmals Hans Petillon: „Auf einmal war ich den Spielern ganz nah. Der Schienenbus mit den Weltmeistern hielt am Bahnhof, die Tür ging auf, Fritz Walter erschien, mein Vater hielt mich hoch und ich durfte dem ,großen Fritz’ die Hand geben.“

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