Landau/SÜW Analphabeten: Wie die Volkshochhochschule helfen kann

Schätzungsweise nur 0,7 Prozent aller Analphabeten trauen sich in die VHS-Kurse.
Schätzungsweise nur 0,7 Prozent aller Analphabeten trauen sich in die VHS-Kurse.

Millionen Menschen haben Probleme beim Lesen und Schreiben. Ein Volkshochschulkurs kann weiterhelfen. Eine Südpfälzerin erzählt, wieso die Teilnahme keine Schande ist.

Teresa (Name geändert) steht mit beiden Beinen im Leben. In einem osteuropäischen Land geboren und aufgewachsen, lebt die 43-Jährige nun schon lange in der Pfalz, ist berufstätig, hat einen deutschen Mann geheiratet, die beiden Kinder besuchen das Gymnasium. Doch Teresa hütet ein Geheimnis: Sie konnte bis vor zwei Jahren nicht deutsch schreiben, das Lesen war mühsam und auch die Verständigung hat nicht immer geklappt. Auf Pfälzisch ging’s jedenfalls viel besser als auf Hochdeutsch.

Als die Kinder mehr und mehr selbstständig wurden, hat die Frau, die Optimismus und Lebensfreude ausstrahlt, kurzerhand einen Entschluss gefasst: „Statt Yoga mache ich was ganz anderes für mich.“ Sie meldete sich bei der Volkshochschule SÜW an, zu einem Grundbildungskurs für „gering Literatisierte“. Das ist zwar eine korrekte, aber ziemlich unverständliche Bezeichnung. Früher sagte man „Analphabeten“ – ein Wort, das auch nicht wirklich zutrifft, weil das Spektrum der Menschen, die mit Lesen und Schreiben Probleme haben, sehr breitgefächert ist. Eines jedoch ist ihnen gemein, sagt Dozentin Christiane Hilsendegen: „Sie sind nicht dumm. Sie alle haben andere tolle Qualitäten.“ Ziel der Grundbildungskurse, die sie anbietet, ist eine Verbesserung der Lese- und Schreibfähigkeit, verbunden mit Allgemeinbildung und praktischen Hinweisen, etwa zum Umgang mit Ämtern.

Nur ein kleiner Bruchteil der Betroffenen in Kursen

Teresa ist heute sehr froh, dass sie diesen Schritt gegangen ist. „20 Jahre lang habe ich mich geschämt und immer Angst gehabt, Fehler zu machen. Durch den Kurs weiß ich heute: Ich bin nicht allein. Ich bin sicherer und mutiger geworden.“

Nicht allein? Das kann man laut sagen. Was vielen nicht bewusst ist: Die Anzahl der Menschen, die mit Lesen und Schreiben in unterschiedlichem Ausmaß Schwierigkeiten haben, geht bundesweit in die Millionen. Die Leo-Studie der Universität Hamburg, die das Phänomen regelmäßig untersucht, geht davon aus, dass 6,2 Millionen Bundesbürger betroffen sind. Würde man das auf Landau und die südpfälzischen Landkreise herunterbrechen, käme man auf 33.000 Menschen. Nur: Kaum einer von ihnen wagt es, sich zu outen. Zu den Grundbildungskursen der Volkshochschulen, so Christiane Hilsendegen, kommen aus Scham, Angst oder Unwissenheit nur schätzungsweise 0,7 Prozent der Betroffenen. Viele wissen nicht um die Möglichkeiten. Logisch, sie können ja nicht oder kaum lesen.

Analphabetismus macht krank

Die Dozentin denkt deswegen über Wege nach, wie man für die Grundbildungskurse „Besser lesen und schreiben im Alltag“ werben könnte. Natürlich über Presseberichte wie diesen; Angehörige oder Freunde können helfen, indem sie die Betroffenen darauf aufmerksam machen. Oder über die Behörden? Die Versuche der engagierten Dozentin, bestimmte Ämter wie etwa das Jobcenter für das Problem zu sensibilisieren, hatten kaum Erfolg.

Hilsendegen hat nun noch einen anderen Weg gefunden. Mit einem Brief, der demnächst versandt wird, wendet sie sich an Hausärzte. „Wer nicht lesen kann, wird krank“, steht plakativ im ersten Satz. Nach Recherchen, die in der Pharmazeutischen Zeitung veröffentlicht wurden, haben Menschen mit niedriger Gesundheitskompetenz eine geringere Lebenserwartung und landen öfter in der Notaufnahme. Das macht laut einer AOK-Studie drei bis fünf Prozent der Gesundheitsausgaben aus. In Arztpraxen fallen diese Menschen zum Beispiel auf, wenn sie ein Formular nicht ausfüllen können (beliebte Ausrede: „Lesebrille vergessen“), oder Hinweise zur Einnahme von Medikamenten nicht wahrgenommen haben. Die Dozentin appelliert an die Ärzte: „Sie als Vertrauensperson der Betroffenen haben einen guten Zugang und können solche Probleme eher ansprechen als relativ fremde Personen wie zum Beispiel in Behörden.“

Im Unterricht wird RHEINPFALZ gelesen

Die Dozentin hofft, dass auf diese Weise mehr Menschen in die Grundbildungskurse kommen. „Aber der Rahmen bleibt auf jeden Fall klein und familiär“, betont sie. Maximal fünf Personen treffen sich im Kurs. So könne man auf jeden Einzelnen individuell eingehen. „Unsere Lehrerin“, erzählt Teresa, „hat viel Geduld, es gibt keinen Leistungsdruck. Wir lernen nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch praktische Dinge“. Es werde viel gelacht. Die Lektüre der RHEINPFALZ gehört immer mal wieder zum Unterricht, Spiele oder Rätsel lockern die Atmosphäre auf, bevor ein neues Lernziel erarbeitet wird.

„Wer einmal durchs Raster gefallen ist, der muss ganz schön krabbeln, dass er wieder nach oben kommt“, sagt Hilsendegen. Es dürfte eigentlich nicht sein, meint die Pädagogin, dass Schüler die Schule verlassen, ohne gut lesen und schreiben gelernt zu haben. Aber meist fehle in den Schulen die Zeit für eine gezielte Förderung. So entwickelten sie als Erwachsene Strategien, um „mit dem kleinen Makel“ irgendwie durch den Alltag zu kommen. Das Problem: „Unsere Sprache ist sehr anspruchsvoll geworden und geht komplett an den betroffenen Menschen vorbei. So verlieren wir viele.“ Die Dozentin erinnert sich an einen Lageristen, der seine Arbeit im Griff hatte. Das Problem begann in dem Moment, als sein Betrieb auf digitale Technik umgestellt wurde. Plötzlich erkannten alle Kollegen, dass es dem tüchtigen Mitarbeiter an Lese- und Schreibkompetenz fehlte. Es war ihm unendlich peinlich. Solche menschlichen Dramen sind nicht unabwendbar. Teresa kennt die Lösung: „Wer diese Probleme hat“, sagt sie mit einem Lächeln in Gesicht, „soll zu unserem kleinen anonymen Club kommen“.

Info

Ansprechpartner sind die Volkshochschulen: Südliche Weinstraße, 06341 940122; Germersheim, 07274 53319; Landau, 06341 134992. Sie beraten diskret zu ihren unterschiedlichen kostenlosen Angeboten.

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