Kreis Südliche Weinstraße Nachtarbeit und Rückenschule

Pleisweiler-Oberhofen. „Ich verbringe viel Zeit am Schreibtisch, mich treibt viel um“, sagt der Publizist Albrecht Müller in seinem Arbeitszimmer in Pleisweiler. Er hat nicht nur einen Schreibtisch, im Arbeitszimmer stehen zwei und ein antikes Schreibpult, im Wohn-Küchenbereich hat er sich ebenfalls einen Arbeitsplatz eingerichtet.

Bei schönem Wetter dient zusätzlich der massive Holztisch im Garten als Schreibtisch. Acht Bücher sind in den vergangenen Jahren an seinen Schreibtischen entstanden und fast täglich Beiträge für die von ihm vor zehn Jahren gegründeten „Nachdenkseiten“, deren kritische Beiträge im Internet sieben Millionen Mal im Monat angeklickt werden. Albrecht Müller, Jahrgang 1938, war Stratege im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt und viele Jahre Mitglied des Bundestages in der SPD-Fraktion. Deckenhoch sind in seinem Arbeitszimmer Unterlagen und Materialsammlungen gestapelt. Viele Bilder hängen an den Wänden, jedes mit einer persönlichen Geschichte. „Fünf Übungen zur Rückengesundheit“ sind an die Wand gepinnt, damit er nicht vergisst, sie regelmäßig zu machen. „Ich habe noch viele Themen nicht bearbeitet“, sagt Albrecht Müller und ordnet schnell einige Papiere auf dem antiken Holztisch. Ein moderner Schreibtisch würde nicht in das Haus passen, dessen Grundmauern aus dem Mittelalter stammen und das er zusammen mit seiner Frau 1981 gekauft und grundrenoviert hat, bevor er seinen Schreibtisch in Bonn verlassen hat. „Ich sitze manchmal schon morgens um 5 Uhr am Schreibtisch, manchmal auch nachts“, sagt Müller. Darüber, was ihn umtreibt, kann er stundenlang erzählen. Und es sind viele Themen. Heute morgen um 6 Uhr habe ihn Russland beschäftigt. Er weiß, dass er mit den „Nachdenkseiten“ viel bewirkt, dass Netzwerke entstanden sind. An die 50 E-Mails von Lesern bearbeitet er täglich, ordnet Informationen, beantwortet Fragen, reagiert auf Themen. Mehr als drei Jahre lang hat er das auch an einem Schreibtisch im Kreisaltenheim in Bad Bergzabern getan, am Bett seiner schwerkranken Frau Anke Bering-Müller. Sie ist in diesem Jahr gestorben. Mit ihr hat er die jährlichen Pleisweiler Gespräche ins Leben gerufen, zu denen Menschen aus ganz Deutschland und den Nachbarländern kommen. Unwahrheiten und Manipulationen bringen den Ökonomen auf die Palme und an die Schreibtische, an denen er auch seine Bücher geschrieben hat. Eines über Willy Brandt. „Er war nicht depressiv und es stimmt auch nicht, dass er kein Interesse an der Innenpolitik hatte“, sagt Müller. Als Skandal empfindet er, dass der normale Sparer keine Zinsen mehr für sein Geld bekommt. „Dazu werde ich heute noch etwas schreiben“, kündigt er an. Trotz disziplinierter Arbeit und wenig Freizeit legt Albrecht Müller Wert auf Freundschaften. Da organisiert er – am Schreibtisch natürlich – schon mal ein ganzes Wochenende, an dem mehr als 20 Freunde kommen, mit denen er wandert, diskutiert, Wein probiert und kocht. „Diese längeren und vielfältigen Begegnungen, man könnte auch Rituale sagen, sind wichtig“, sagt er und freut sich, dass auch im Alter neue Freundschaften dazu gekommen sind, auch über Parteigrenzen hinweg. Wie die zu Norbert Blüm (CDU), Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine (Linke). Die Arbeit zu reduzieren, kommt für Albrecht Müller nicht infrage, zu viele weitere Projekte plant er. Wie das eines gemeinsamen Flyers kritischer Internetseiten oder ein Wochenrückblick in den „Nachdenkseiten“. Was hofft Albrecht Müller? „Dass die Politik erkennt, was wirklich notwendig ist und dass es geistig wieder aufwärts geht.“ Sein Traum wäre es, „dass die Gesellschaft wach wird, dass keine Kriege mehr inszeniert werden und alle Menschen Arbeit haben“.

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