Kusel Erinnerungen ans Kriegsende in einem alten Kalender

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„Zweimal zwei Brüder“ – so lautet der Titel einer Geschichte, die Sylvia Jung geschrieben hat. Sie handelt von ihrem Vater Thilo Jung, dessen Bruder Arno, deren Vater Ludwig und dessen Bruder Albert Jung – vielen Kuselern noch bekannt als Landarzt. Sogar eine Straße wurde nach ihm benannt.

Heute ist Sylvia Jung, die Lehrerin ist und in Ingolstadt lebt, auf der Frankfurter Buchmesse. Denn ihre Erzählung wurde ausgewählt bei einem Geschichtenwettbewerb mit dem Titel „Untold Stories: Lebenserinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg“, zu dem der Internetversandhändler Amazon und der TV-Kanal National Geographic aufgerufen hatten. Die 70 besten Geschichten erscheinen in einem Buch, das heute auf der Buchmesse präsentiert wird. Gestern war die 56-jährige Germanistin zu Gast in Kusel, traf sich mit Roland und Ilse Hinkelmann sowie Heide Mägel, einem Patenkind von Albert Jung. An dem Kontakt ist die RHEINPFALZ nicht ganz unschuldig: Als Sylvia Jung, die seit langem Familienforschung betreibt, nämlich im Internet Informationen zum Kriegsende in Kusel suchte, stieß sie auf das Buch „Das Kriegsende in der Pfalz“, vom RHEINPFALZ-Verlag vor zehn Jahren herausgebracht. Darin enthalten ist auch ein Beitrag von Roland Hinkelmann. Jung schrieb ihn an – und war jetzt zu Recherchezwecken in Kusel. Auf die Idee zu ihrer Geschichte „Zweimal zwei Brüder“ brachte sie ein Kreissparkassen-Kalender von 1940, den ihr Vater Thilo 1945 als Notizbuch verwendet hatte. „Es gab ja kein Papier damals“, meinte Hinkelmann dazu. Unter dem Datum 19. März ist lediglich vermerkt „14 Uhr, Amerikaner in Kusel“. Sylvia Jung hat darum die Geschichte aus Sicht ihres vor zwei Jahren verstorbenen Vaters Thilo gewoben – der war 1945 mit 17 Jahren als Luftwaffenhelfer eingezogen worden. Sein zwei Jahre älterer Bruder Arno war zur gleichen Zeit in englischer Kriegsgefangenschaft. Thilo Jung und seine Eltern suchten Zuflucht bei seinem Onkel, dem Landarzt Albert Jung in Kusel. Der wurde im März 45 zu einer Entbindung gerufen. Auf dem Weg dorthin verunglückte er, wurde von einem Zug mitgeschleift und schwer verletzt. Sein Bruder Ludwig, Vierter im Bunde, war Volkswirt. Als am Morgen des 19. März Soldaten an der Tür der Arztpraxis um Hilfe für einen verwundeten Kameraden baten, eilte er mit dem Arztkoffer seines Bruders dorthin. Doch er wurde von amerikanischen Soldaten festgenommen und nach Baumholder gebracht. Bei einem Verhör wollte US-General George S. Patton von ihm wissen, ob die Männer Kusels noch bewaffnet seien. Als Jung dies verneinte, rückten die Amerikaner nach Kusel vor – mit ihm als Schutzschild auf dem ersten Panzer. All dies hat Sylvia Jung bei ihren Recherchen zusammengetragen – und macht weiter: „Die Arbeit fängt jetzt erst an“, berichtet sie. Sie erstellt Stammbäume der Familie, will jetzt auch einen Sütterlin-Kurs belegen, um die alten Unterlagen leichter entziffern zu können. Der Besuch der Buchmesse ist für sie etwas ganz Besonderes: Als Deutschlehrerin war sie zwar schon mehrfach mit ihren Schülern dort, als Autorin steht sie jetzt aber quasi auf der anderen Seite. Von den Bruderpaaren ist übrigens Albert Jung noch heute in Kusel präsent: Dem Landarzt, 1955 gestorben, wurde nach seinem Tod eine Straße gewidmet. Lebendig sind auch bei manchen Älteren noch die Erinnerungen an den Doktor, der herzensgut und ein echtes Unikum gewesen sein soll. (ba) Info Die Anthologie ist als Kindle-E-Book erschienen und im Kindle-Store für 2,99 Euro erhältlich.

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