Über den Kirchturm hinaus Pfarrer Diener und der Neubeginn in der katholischen Kirche

 Soll sich die katholische Kirche – hier das Portal von St. Ludwig – für Neuerungen öffnen?
Soll sich die katholische Kirche – hier das Portal von St. Ludwig – für Neuerungen öffnen?

Allein auf Kardinäle und Bischöfe oder den deutschen Papst zu schimpfen, ist Pfarrer Thomas Diener von der katholischen Kirchengemeinde in Bad Dürkheim zu einseitig. Vielmehr gehe es um das Versagen des ganzen Systems.

Die Nachrichten, die viele katholische Christen in diesen Tagen wiederholt überrollen und von neuen Vorfällen in ihrer Kirche berichten, sind schockierend, abstoßend und erschreckend zugleich. Zugegeben, blauäugig wäre der Mensch gewesen, der nicht damit gerechnet hatte, dass in dem großen Sumpf von Lüge und Intrige, von Missbrauch und Perversion, von Widersprüchlichkeit und Inkonsequenz, von Missachtung der Menschenrechte und Verrat an der Sache Jesu noch andere Überraschungen zu finden sind.

Die Offensivität, mit der mich die Berichte überrascht haben, ist heftig und ruft bei mir persönlich ein tiefes Gefühl der Fremdscham hervor. Ich schäme mich in der Tat für meine Kirche und für viele, die mitmachen bei diesem üblen Spiel, das die Seele der Menschen verletzt, kaputtmacht und ihr Vertrauen und ihre Zuversicht und ihr Hoffen auf etwas Neues in dieser Kirche zerstört.

Eigene Hilflosigkeit macht zu schaffen

In diesen Tagen suchen viele Menschen ihren Gemeinden nach einem Weg, wie sie mit all dem umgehen und auf mögliche kritische Anfragen adäquat reagieren können. Die eigene Hilflosigkeit gegenüber diesen Vorfällen und die Frage, nach dem ganz eigenen Verhalten in der Zeit dieser tiefen Krise unserer Kirche macht vielen von ihnen zu schaffen.

In einem Bericht einer kirchlichen Wochenzeitung war zu lesen: „Jeder Mensch sollte sich immer wieder seiner Kraftquellen vergewissern, um aus ihnen zu schöpfen. Und sich darauf verlassen, dass dieser Gott auch weiterwirkt, wenn einen im Alltag manchmal die Kraft zu verlassen droht. Man nennt dies Urvertrauen.“

Vertrauen in einer von Misstrauen geprägten Zeit

Ich glaube, dass wir alle zu einer Kraftquelle füreinander werden können, die es uns erlaubt, Vertrauen zu schöpfen in einer Zeit, die zum einen von so viel Misstrauen geprägt ist, und in der zum anderen Zutrauen sehr brüchig geworden ist. Es ist das Vertrauen und das Zutrauen in eine Institution, die für sich in Anspruch nimmt, in besonderer Weise für das Heil der Menschen und die Sorge um sie zuständig zu sein.

Jedoch ist es zu einseitig, allein auf Kardinäle und Bischöfe und sogar einen deutschen Papst zu schimpfen. Ein kritische Anmerkung in diesen Tagen stellt die Frage, ob nicht viele von uns selbst Bestandteil eines Systems sind, dessen Totalversagen zu dieser Entwicklung von Kirche geführt hat und ob es uns selbst nicht möglich war, zu widersprechen, aufzubegehren und entgegenzuwirken? Es ist die Frage nach dem aufrechten Gang und dies in jeder Gemeinde.

Es geht nicht um Schuldzuweisungen

Viele haben zugegebener Maßen zu lange geschwiegen und den Mund gehalten zu den Dingen, die zum Himmel schrien, zu Missständen, die nicht übersehen werden konnten. Und viele tun es immer noch. Dabei geht es jetzt nicht um Schuldzuweisung. Es geht vielmehr um die schon lange im Raum des Systems Kirche stehende Frage, ob wir bereit sind, miteinander „eine Verschwörung gegen das Böse in dieser Kirche“ und all seine Erscheinungsformen zu bilden. Eine Gemeinschaft, die engagiert und streitend, kritisch und kämpferisch, fantasievoll, mutig und beherzt dem Guten den Weg bahnen möchte; einem längst überfälligen Neubeginn, der die eigenen Reihen und auch die ganz eigene Person miteinbeziehen will. All dies sollte geradezu selbstverständlich im Hinhören auf das geschehen, was Gottes Geist uns als Kirche zu sagen hat.

„Es ist unser Glück“, schreibt ein kanadischer Schriftsteller, „dass die Zeit in jeder Sekunde, in jeder Minute, und in jeder Stunde eine neue ist. Sie wiederholt sich nicht, nichts wiederholt sich. Jeder Moment ist ein Neubeginn – ein Augenblick der Entscheidung. Es ist nicht zu spät, aus Überzeugung zu leben anstatt in Routine. Immer ist die richtige Zeit, geboren zu werden.“ Das gilt für die Kirche. Das gilt für jeden einzelnen von uns.

Thomas Diener ist Pfarrer und Kooperator in der katholischen Kirchengemeinde Heilige Theresia vom Kinde Jesus, Bad Dürkheim

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