Kaiserslautern Wer hat, der kann eben

Auf der Suche nach einem neuen Profil präsentierte sich das weltberühmte Jazzfestival in Montreux in diesem Jahr. Die zweite Ausgabe nach dem Tod seines Gründers, Leiters und Übervaters Claude Nobs wollte dabei mit Exklusivität punkten – was allerdings nur bedingt gelang. Dennoch gab es in dem 16-tägigen Konzertmarathon bis zum Wochenende den ein oder anderen Moment, der den Geist des legendären Festivals aufleben ließ.

46 Jahre lang hatte Impresario Claude Nobs sein Festival geprägt – mehr noch: gelebt. Auch die 47. Ausgabe, ein halbes Jahr nach seinem Tod im Januar 2013, trug noch überdeutlich seine Handschrift. All die Stars im Musikgeschäft, die über die Jahre zu Freunden des Schweizer Musikmanagers geworden waren, die er nicht selten höchstselbst in seinem Chalet hoch überm Genfer See empfangen und bekocht hatte und die ihm seine Gastfreundschaft mit absoluten Freundschaftspreisen vergolten hatten, all diese Stars wollten es sich 2013 nicht nehmen lassen, quasi als Reverenz noch einmal an den See zu kommen. Doch damit ist nun Schluss. Das Festival kämpft unter seinem neuen Leiter Mathieu Jaton ums Überleben. Es muss konkurrenzfähig sein auf dem umkämpften Markt der Superstars, muss angemessene Gagen zahlen und dafür zumindest in Teilen ein neues, kaufkräftiges Publikum finden. Da hilft es wenig, den Geist von Claude Nobs zu beschwören mit der Umbenennung des zentralen Boulevards am See und des legendären Künstlertreffs Harry’s Bar nach ihm. Montreux ist endgültig in der durchkommerzialisierten Realität angekommen. Ein Trumpf, den das Festivalteam im Ringen um Künstler und Publikum in die Waagschale wirft, ist Exklusivität. So wurde heuer Stevie Wonder als Headliner verkauft, am vergangenen Mittwoch gastierte er in der mit 4000 Plätzen größten Spielstätte des Festivals, dem Auditorium Stravinski. Allein vergaloppierte sich der Schöpfer solch unsterblicher Hits wie „Superstition“ oder „You Are the Sunshine of My Life“ in langen, zu gewollten Improvisationen und Spielereien um seine Erfolgstitel herum. Und exklusiv – wie etwa in der jüngeren Festivalvergangenheit die Auftritte des US-Superstars Prince – war die Wonder-Visite auch nicht, hatte der Sänger doch Anfang Juli erst in der Luxemburger Rockhal gastiert. Allerdings waren dort die Preise mit um die 90 Euro weit weniger exklusiv als in Montreux, wo für einen Stehplatz 185 Franken und für einen Sitzplatz 450 Franken zu berappen waren. Exklusiver soll auch die zweite Hauptspielstätte, der Jazz-Club, werden. Die Tische, an denen das Publikum nun ganz Club-like Platz nehmen konnte, verdeckten jedoch auch ein Manko: die zurückgehenden Zuschauerzahlen. Längst nicht mehr so viele Konzerte wie in früheren Jahren waren ausverkauft, was auch an erwähnter Preispolitik liegen kann. Ein Abend mit einem gut aufgelegten Keb Mo und dem jungen, aufstrebenden, afrikanisch-stämmigen Sänger Benjamin Clementine etwa für 180 Franken – da steigt mancher Musikfreund aus. Entsprechend bemerkte Clementine angesichts seiner Hörer lapidar: „Nur alte Menschen im Publikum.“ Wer hat, der kann eben. Dass das Wetter mit satten elf Regentagen die Bilanz im Freiluftbereich, auf der Festmeile mit ihren Gratis-Open-Air-Bühnen, beeinträchtigt hat, liegt nahe. Dass es das Geschehen in den Konzerthallen beeinflusste, wie es die Veranstalter in ihrer Bilanz mit dem schönen Titel „Singing In The Rain“ behaupten, scheint fraglich. In jedem Fall kamen mit 83.000 Besuchern an 16 Tagen (5187 im Schnitt) deutlich weniger zahlende Gäste an den Genfer See, als im Vorjahr (105.000 Tickets an 18 Tagen, ergibt einen Schnitt von 5833). Neben happigen Kartenpreisen und gestiegenen Zusatzkosten (Getränke, Essen), dürfte dies an den Inhalten gelegen haben. Weit weniger als in den vergangenen Jahrzehnten liefen die Stars auf. Hatte man früher an vielen Tagen die Qual der Wahl in den drei Hauptspielstätten und gaben sich dort nicht selten absolute Spitzenkräfte die Klinke in die Hand, so musste man sie diesmal eher suchen im Programmheft. Zwar bedeuteten die vielen unbekannteren Künstler auch ein hohes Entdeckungspotenzial. Doch will man in Montreux traditionell natürlich zunächst einmal eines: Legenden live erleben. Hatte man sie ausgemacht im Dickicht der B- und C-Prominenz, so konnte man dennoch manches Glanzlicht mitbekommen. Den Auftritt etwa des äußerst gut gelaunten Trios mit Bireli Lagrene, Richard Galliano und Didier Lockwood, das zwischen Sintijazz, klassischen Kantilenen und Tangowallungen changierte. Oder als weitere kammermusikalische Kostbarkeit: das Zusammentreffen von US-Pianisten-Legende Herbie Hancock und des nicht minder profilierten Saxofonisten Wayne Shorter, die nach einigen Anlaufschwierigkeiten experimentellen Jazz in Vollendung zelebrierten. Packende Momente gab es heuer auch draußen auf der Fanmeile: So entfesselte Maceo Parker dort sein energiegeladenes Saxofon, und auch die Folkies von Fiddlers Green zogen als einer der wenigen deutschen Beiträge ihr Publikum in den Bann. Es bleibt also spannend um die Konzertserie am Genfer See, die 2016 immerhin ihre 50. Auflage erleben soll. Hoffen wir das Beste.

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