Kaiserslautern Wenn „Lautringen“ zur Weltstadt wird

In einer Zeit dramatisch sinkender Wahlbeteiligung und Entfremdung zwischen Politik und Gesellschaft kommt den zunehmenden kabarettistischen Veranstaltungen wachsende Bedeutung zu. Die am Mittwoch wieder in ihrem neuen Domizil, dem Edith-Stein-Haus, auftretenden Kabarettisten Die Untiere haben diese Zeichen der Zeit längst erkannt und den Fokus vom Rathaus auf die Bühne gelenkt.

In seinem kabarettistischen Parforceritt hat Philipp Tulius den erneut amtierenden Oberbürgermeister Klaus Weichel in Habitus und Tonfall – mit der grotesken Mischung aus Amtssprache, pseudowissenschaftlichen Aufblähungen und urpfälzischen Anklängen – inzwischen nicht nur perfekt imitiert. Er hat ihn längst übertroffen. Ebenso gekonnt „covert“ Marina Tamassy die Bundeskanzlerin hinsichtlich rhetorischer Selbstdarstellung und übertrumpft auch hier deren Dialekteinfärbung und Persönlichkeitsprofil. Letztlich erscheint auch sie nicht als Kopie, sondern als überspitzter Komparativ, wenn nicht als Superlativ. Dagegen findet das kabarettistische Urgestein Wolfgang Marschall zwischen kommunal- und bundespolitischen Größen eine eigene Position. Er bohrt sozusagen tiefer als die hiesigen Baustellen-Bagger, führt Politiker rhetorisch wie Tanzbären vor. Etwa das „Bau-Peterle“ (Beigeordneter Peter Kiefer), den er vom Winterschlaf direkt in die Frühjahrsmüdigkeit schickt. In seiner neobarocken, metaphorischen Rhetorik beschwört Marschall Nebelschwaden herauf, die nicht nur Wald und Flur, sondern auch Flure im Rathaus durchziehen. In seinem kabarettistischen Rundumschlag verschont er auch die hiesige RHEINPFALZ-Ausgabe nicht – Ehre, wem Ehre gebührt, könnte man augenzwinkernd kontern. Marschall zeigt sich dabei mit seiner vierköpfigen Truppe (ergänzt durch Tastenmann Edwin Schwehm-Herter) auch auf personelle Veränderungen bestens vorbereitet: So könne bei Bedarf auch Nico Welsch parodiert werden. Stark waren bei dieser Ausgabe der monatlichen Shows die musikkabarettistischen Auftritte Tamassys beim lauthals gesungenen Lautrer Lied „ Oh Lauter, du“ und beim Mall-Medley, als sie abwechselnd im Stil einer Chansonnière, Schlagersängerin und Rockröhre und mit der kostümierten Wandlungsfähigkeit eines Chamäleons Idole persiflierte. Semantisch und rhetorisch brachen diesmal groteske Wortschöpfungen und bildhafte Vergleiche die Dämme: Bei der Mall war im Hinblick auf Discounter die Rede von sozialem Wirtschaftsmanagement und „wenn sich das Prekariat im Primark tummelt“. Lautern trifft bei den Untieren bekanntlich auf die Weltbühne, wenn sich Merkel und Weichel (in Gestalt von Tamassy und Tulius) begegnen. Die Barbarossastadt wird dabei das, wovon viele sportlich und wirtschaftlich träumen: „Lautringen“ avanciert zur Weltstadt! Dennoch: Trotz philosophischer Anwandlungen Marschalls, bildhafter Karikatur, Realsatire, Parodie und stimmlich wie instrumental exzellentem Musikkabarett stellt sich im Hinblick auf einige leere Stuhlreihen die bange Frage, ob die bisherigen Baustellen und Reizfiguren zukünftig ausreichen oder nicht doch neue Zielscheiben des Spotts aufgestellt werden könnten. Wie auch immer: Diesmal riss allein der Gast Braidon Morris alle Anwesenden aus diesen leisen Zweifeln. Der Zauberer und Entertainer aus Lancaster in Schottland trat im klischeehaften „Schotten-Karolook“ auf; er hat in seiner witzigen Moderation eine neue Sprache kreiert und kultiviert: Denglisch. Mittlerweile ohnehin inoffizielle Gesellschaftssprache, aber bei Morris perfektioniert. Als Zauberkünstler wechselt er zwischen Kunst und Klamauk, bezieht Gäste aus dem Publikum ein und zieht alle Register eines lebendigen Mitmach-Theaters. Morris spielt den leicht vertrottelten und etwas tollpatschigen Showmaster, der es aber mit artistischen und Zauberkunststücken faustdick hinter den Ohren hat: Manche Tricks wie der zerschnittene Strick sind alt, andere nur Gags – und doch zaubert er zwischendurch auch wirklich aus dem sprichwörtlichen Hut und gibt dabei viele Rätsel auf. Gekonnt spielte er mit der Erwartungshaltung des sichtlich angetanen Publikums. Ein Gast auf Augenhöhe also!

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