Kaiserslautern Weiterspielen!

91-74762400.jpg

Köln, Schauplatz Musical Dome am Rhein. Pressepremiere des Musicals „Bodyguard“. 1800 Menschen sind in dem Kuppelzelt mit Blickmöglichkeit zum Dom zusammengedrängt. Schon alleine diese Ansammlung sorgt für ein mulmiges Gefühl. Personenkontrollen gibt es – natürlich – nicht. Zum Glück noch nicht. So weit haben sie uns noch nicht gebracht. Doch die Angst, zumindest aber die Verunsicherung hört mit. Sie sieht mit. Eine Art Schranke im Kopf, die ein unverkrampftes Sich-Einlassen auf das Bühnengeschehen unmöglich macht. Auch wenn die Füße mitwippen im Rhythmus der Whitney-Houston-Songs. Der Blick wandert immer wieder – unbewusst wohl – zu den Notausgängen. Dann steuert das Musical auf seinen Höhepunkt zu. Der Ritter rettet die Prinzessin vor dem bösen Drachen. Also hier: Der Bodyguard die schöne Sängerin vor dem Attentäter. Dieser wird von der Regie über den Köpfen des Publikums auf einer Plattform platziert, von wo aus er mit einem roten Suchlicht durch die Reihen zielt. Die Beklemmung wächst. Erst Recht, als sich – inszenierte – Sicherheitsleute unvermittelt an den Ausgängen positionieren. Die Menschen schauen nach rechts und links, sind offenkundig abgelenkt vom Geschehen auf der Bühne, obwohl es dort doch gerade zum großen Happy End kommt. Szenenwechsel: Staatsoper Stuttgart, zwei Tage später. Premiere der Oper „Salome“ von Richard Strauss. Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov inszeniert das ganze Dilemma unserer vor dem islamistischen Terror zitternden Welt mit. Und unsere Angst. Vor allem unsere Angst. Wobei sein radikales – und künstlerisch durchaus nicht wirklich aufgehendes – Konzept natürlich lange vor den Anschlägen von Paris entstanden ist. Wir sehen eine verzogene, nörgelnde Göre namens Salome, die ihren Platz in einer von Dekadenz und Gewalt dominierten Gesellschaft nicht finden kann. So weit, so gut. Wären da nicht ständig die arabischen Schriftzeichen, die über Bildschirme laufen und die wir nicht verstehen. Und die Nachrichten von der Welt draußen in Form von Videos, die auf einem riesigen Fernseher zu sehen sind: Schreckensnachrichten. Von IS-Triumphen. Von IS-Hinrichtungen. Von IS-Enthauptungen. Nur dank eines Pixel-Schleiers müssen wir nicht alles sehen, von dem wir ja aber doch wissen, dass es stattgefunden hat. Dann der Höhepunkt. Der inszenierten Brutalität. Und der ausgelösten Angst. Des wie von einem Lichtschalter mit Vorstellungsbeginn angeknipsten Unwohlseins. Die Enthauptung des Propheten Jochanaan. Die Regie doppelt quasi die realen Bilder des Schreckens. Aus den Schergen am Hof des Herodes werden IS-Schlächter. Dazu die nervenzerfetzende Musik von Richard Strauss. Selten wirkte Oper so verstörend. Und irgendwann, mitten im Schlussapplaus, nimmt das eigene Unwohlsein dann überhand. Man will dann nur noch raus aus den engen Sitzreihen des Stuttgarter Opernhauses. Alles andere als ein normaler Opernabend. Die Vorstellung, dass sich das jetzt pro Jahr bei vielleicht 30, 40 Premieren, die man durchschnittlich sieht, wiederholt, ist mehr als unschön, auch wenn ja nicht jede Inszenierung solche Bezüge herstellt. Wer aber schaltet dieses Kopfkino aus, das ja nicht erst seit den Anschlägen von Paris wie in einer Endlosschleife unser Denken beherrscht? Die Antwort ist ebenso einfach wie ernüchternd: niemand. Die Tonspur des Schreckens wird weiterlaufen, eine Art Hintergrundmusik des Terrors, die wir nicht mehr abschalten können. Wir können nur die Musik im Vordergrund lauter drehen, können weiter in die Oper, ins Kino, ins Theater, ins Konzert gehen. Können weiterspielen. Immer weiter. Das ist die Höchststrafe für jene, die alles hassen, was uns etwas bedeutet. Wie haben es die Macher von „Charlie Hebdo“ formuliert: „Sie haben die Waffen, aber wir haben den Champagner.“ So sieht es aus: Sie haben die Waffen, aber wir haben die Musik, haben unsere Kultur. Und die ist, so schlimm dies auch sein mag, vorerst wohl nicht ohne jenes mulmige Gefühl zu haben. Aber das ist es wert.

x