Kaiserslautern Vorsicht! Kuh von oben!

Veranstaltungen im Doppelpack sind nicht nur in Kaiserslautern en vogue. Aber dort ganz besonders. Pfalzgalerie und Zink-Museum eröffnen gerne zwei Ausstellungen an einem Tag, daneben legt das Pfalztheater mit Begeisterung doppelt vor, etwa zur Eröffnung der nächsten Spielzeit (wir berichteten am Samstag). Mit zwei Schauspielpremieren war das Haus auch am Wochenende am Start: Davide Carnevalis „Sweet Home Europa“ auf der Werkstattbühne und „Yellow Line“ von Juli Zeh und Charlotte Roos im Großen Haus. Beide Produktionen eint der kritische Blick auf unsere Gesellschaft und ihre Schwierigkeiten.

Um die Flüchtlingsproblematik und den Culture Clash zwischen westlichen Industrienationen und Schwellen- respektive Entwicklungsländern geht es in Davide Carnevalis 2012 in Bochum uraufgeführtem Stück. Es spielt die Thematik in ihren Facetten in verschiedenen Episoden durch, die für sich stehen. Und das kann dann so aussehen: Industrieboss trifft auf Vertreter eines afrikanischen Landes, das Unverständnis für kulturelle und Mentalitätsunterschiede führt zum heftigen, verbalen Schlagabtausch. Oder: Flüchtling telefoniert mit Mutter, an anderer Stelle ist es der Vater, im fernen Heimatland. Auch über den Nachzug wird geredet, ebenso wie über eine mögliche Rückkehr. Zur geografischen Entfernung treten jedoch Entfremdungstendenzen und Trennungsschmerz. Oder: Sprachlehrerin trifft auf Einwanderer, die Schüler-Lehrer-Konstellation ufert aus. Und mit dem Thema Schlepper trifft auf Flüchtling ist die Reihe der Begegnungen noch lange nicht zu Ende, die Carnevali lehrbuchmäßig und durchaus auch dem Klischee verbunden aneinanderreiht. Mit sprachlichen Versatzstücken und Handlungsmotiven, die in den Geschichten teilweise wortwörtlich wiederholt werden, verknüpft Carnevali seine Episoden. Mancher Running Gag gesellt sich dazu, etwa die Figur eines Wolfsbarschs, die zunächst indirekt eingeführt wird, dann aber tatsächlich als Figur auftaucht. Diese Konstruktion macht das Stück interessant, die Einzelinhalte der Szenen gehen über eine oberflächliche Schilderung bekannter Sachverhalte wenig hinaus. Es bleibt der Eindruck einer gewollten und überambitionierten Konstruktion, die weniger Leben atmet und wiedergibt, denn – politisch korrekt – Missstände anprangert und Schicksale scherenschnittartig darstellt. Auch die konzentrierte und überaus präsente schauspielerische Leistung von Natalie Forester, Rainer Furch und Richard Erben kann daran nichts ändern. Eineinhalb Stunden ohne Pause dauert die von Alexander Ratter inszenierte Schnitzeljagd, die etwas langwierig an ihr Ende gelangt. Sie findet statt auf einer Bühne (Korbinian Schmidt, auch Kostüme), in deren Zentrum ein großer, hölzerner Schiffsrumpf steht. Er erinnert nicht nur von Ferne an die archaischen Holzkonstruktionen, die der bekannte hessische Bildhauer Claus Bury derzeit in der Pfalzgalerie zeigt. Ein Flüchtling kommt auch in „Yellow Line“ der jungen, angesagten Erfolgsautorin Juli Zeh und ihrer Coautorin Charlotte Roos vor, die 2007 mit ihrem Stück „Die Unmöglichkeit einer Insel“ bekannt wurde. Und wie „Sweet Home Europa“, besteht „Yellow Line“ aus einzelnen Szenen, die allerdings eher im Sinne von Handlungssträngen parallel entwickelt werden. Zentral geht es dem 2012 in Braunschweig uraufgeführten Stück um das große Thema Freiheit. Oder besser gesagt: den Mangel an Freiheit. Zeh/Roos entwerfen das Bild einer westlichen Gesellschaft, die weitgehend von Unfreiheit, von Zwängen, von Überwachung getrieben wird. Schon der scheinbare Flüchtling Asch-Schamich erfährt dies, ist der Fischer doch Opfer einer Havarie, wollte gar nicht nach Europa und wurde trotzdem von der Organisation Frontex gerettet. Verstehen können die Behördenvertreter gar nicht, dass er eigentlich nur zurück nach Hause will. Die Verhörmethoden werden rabiater, weil man ihm daneben nicht abkaufen will, dass eine Kuh vom Himmel fiel und sein Boot zerstörte. Ein zweiter Hauptstrang erzählt die Geschichte der Künstlerin Helene, die sich mit dem westlichen System arrangiert hat, und die ihres Freundes Paul, der dagegen aufbegehrt. Auch er gerät in die Fänge des Machtapparates und wird dadurch zunehmend radikalisiert. Er ist es auch, der schließlich eine Kuh vom Joch der Agrarindustrie befreit und sie via Flugzeug nach Afrika entführen will. Allein, der Transport geht schief, die Kuh stürzt ab. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Es sind diese absurden Momente und die Überspitzung westlicher Gesellschaftsmechanismen ins Groteske, die dem Stück komödienhafte Züge verleihen. Eine Komödie ist „Yellow Line“ angesichts der vielschichtigen Probleme, gesellschaftlichen Abgründe und menschlichen Tragödien, die vor allem in der Figur des Paul greifbar werden, dennoch nicht. Das Stück zeigt eher auf, was in unserer Gesellschaft schief läuft und wie wir alle ziemlich direkt auf Huxleys „Schöne neue Welt“ zusteuern. Es offenbart sich schmerzlich die Kluft zwischen demokratischen Freiheitsidealen und gelebter Realität unter turbokapitalistischem Primat. Wie ein Steinbruch bietet „Yellow Line“ jede Menge Anknüpfungspunkte, die Schwächen unserer Gegenwart zu decouvrieren, worin die eigentliche Bedeutung des Stückes liegt. Die zweistündige Inszenierung (ohne Pause) von Jan Steinbach hätte gegen Ende eine Straffung vertragen – oder eine Gliederung durch eine Pause. Die zweigeschossige Hubbühne (Lisa Däßler, auch Kostüme) eröffnet verschiedenste Handlungsräume, von der Verhörkammer unten bis zum luftigen Ferienappartement in einem Containeraufbau oben. Das Publikum darf rund um das Hubpodest auf der Bühne sitzen, was eine gewisse Unmittelbarkeit herstellt. Das vielköpfige Schauspielensemble füllt seine Rollen durchweg mit Leben; stellvertretend für herausragende Leistungen seien Daniel Mutlu als Paul, Monke Ipsen als Helene, Hannelore Bähr unter anderem als Übersetzerin beim Verhör und Dominique Bals unter anderem als Pilot erwähnt. Fazit: Das Pfalztheater Kaiserslautern kommt mit den beiden neuen Schauspielproduktionen einem seiner wichtigsten Aufträge nach – der Gesellschaftskritik. Die Auseinandersetzung lohnt sich.

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