Kaiserslautern Vergnüglich trotz vieler Leichen

Erstmals in seiner 26-jährigen Geschichte wendete die Kammgarn am Dienstagabend Gewalt an: Bastian Pastewka und Komplizen brachten den Radio-Straßenfeger der 40er, „Paul Temple und der Fall Gregory“, unter der Regie von Leonhard Koppelmann als Live-Hörspiel auf die Bühne. Die über 500 Besucher im ausverkauften Kasino zeigten jedoch keinerlei Entsetzen über diesen blutrünstigen Gewaltstreich von Francis Durbridge, sondern vergnügten sich, im Gegenteil, überaus köstlich.

Nostalgisch angehaucht, mit jeder Menge Retro-Charme, ist schon die Bühne mit dem alten Kühlschrank und dem Radioempfänger aus der Nachkriegszeit. Nebel steigt auf, Krähen schreien entsetzlich, dass es einem kalt den Rücken runter läuft. Laute Schritte ertönen. Ingredienzien, wie man sie von den Durbridge- und Edgar-Wallace-Filmen her kennt, sind reichlich vorhanden. Ein Foto zeigt ein mit zwei Personen besetztes Boot auf der Themse. Wasser gluckert, eine Hand steigt aus dem Wasser hoch. Eine Frauenleiche hat sich im Netz verfangen. Das ist bei weitem nicht die einzige Leiche. Zahllose Tote, viele Verdächtige, noch mehr falsche Spuren verwirren den Laien und machen den Fall scheinbar unlösbar. Wer ist der Mörder? Die Scotland-Yard-Beamten und unzählige Sergeants sind ratlos. Nur einer behält den Überblick: der lässige Paul Temple alias Bastian Pastewka im eleganten Zwirn und mit schnittigem Hut. Gemeinsam mit seiner reizenden Angetrauten Steve macht er sich auf den Weg, um den Ariadne-Faden zu entwirren. Auf den Autofahrten zwischen Scotland Yard und schummerigen Tanzlokalen, wobei Steve (Cathlen Gawlich) das Steuern über die holprigen Straßen London mimt, hört man immer wieder schrille Musik mit Gänsehautfaktor. Pusten durch zusammengepresste Lippen macht jähe Bremsgeräusche hörbar. Es tost, blitzt und donnert, als ihr Wagen auf einer Brücke abgedrängt wird und in den Fluss stürzt. Kai Magnus Sting schmettert dazu mit brutaler Gewalt Bleche auf den Bühnenboden. Wasser plätschert, als die beiden an Land „schwimmen“, Frösche quaken, Sträucher knistern, als sie sich die Böschung hoch kämpfen. Die Garagentür quietscht, als sie aufgezogen wird, markerschütternde Schreie ertönen, als die beiden Detektive eine weitere Frauenleiche entdecken. Gläser klirren in dem geheimnisvollen Gasthof. Ein geheimnisvoller Diener (Alexis Kara) nuschelt durch zusammengepresste Zähne. Schreibmaschinen tippen im Scotland-Yard-Büro, ein Telefon schrillt, Gläser stoßen im schummerigen brasilianischen Nachtclub des zwielichtigen Mister Zola zusammen, und alle singen aus voller Brust „Am Zuckerhut von Rio“. Eine Verfolgungsjagd erregt helle Aufregung. Alles scheint zusammenzustürzen. Und bei einem Verkehrsunfall poltert, rumpelt es, dass der Lärm sich ins Gehör bohrt. Der Phantasie der Geräuschemacher ist keine Grenze gesetzt. Noch eindrucksvoller sind die vier Schauspieler Janina Sachau, Cathlen Gawlich, Alexis Kara und Kai Magnus Sting, die sich als wahre Stimmenwunder erweisen und zahllose Personen und Geräusche imitieren. Genial, wie Janina Sachau stammelnd, krächzend und dabei zungenakrobatisch mit Paul Temple telefoniert oder wie Alexis Kara mit gequetschten Zähnen den Diener mimt. Die Krönung aber ist Magnus Sting: Den Erhängten mimt er so authentisch, als baumele er tatsächlich an der Decke. Am allervergnüglichsten wirkte Bastian Pastewka als cooler Gentleman-Detektiv Paul Temple, der stets die Übersicht bewahrt und an der Seite seiner smarten, eleganten Frau den Bösewichtern das Leben schwer macht. Der großartige Comedian erweist sich auch als schlagfertig, wenn sich die Schauspieler von der Vorlage entfernten. Seine Mimik ist dabei unnachahmlich. Selbst als er pudelnass aus der Themse krabbelt, glänzt sein Temple mit Geistesblitzen à la Sherlock Holmes, wobei die Augen blinken und rollen. Am Ende wird der Oberschurke dank seiner genialen Kombinationsfähigkeit überführt. Nicht zuletzt „durch die weibliche Eingebung“ von Steve, die wie jede Frau immer das letzte Wort haben muss: „Aber was ich nicht begreife…“, fragt sie. Da ist sogar Paul Temple sprachlos. Nicht sprachlos waren die begeisterten Zuschauer, die dieses herrlich humorvolle Vergnügen mit minutenlangem Applaus stehend belohnen.

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