Kaiserslautern Völkerversöhnung mit Untieren

Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit wird so ausgiebig über die Zu- und Missstände einer Gesellschaft nachgedacht wie kaum an einem anderen Tag. Und wenn es um politische und gesellschaftliche Missstände geht, sind die Lauterer Untiere nicht fern. Am Freitag gestaltete die Kabarett-Truppe im Edith-Stein-Haus ein treffsicher pointiertes Sonderprogramm zum politischen Feiertag, bei dem einem nicht selten das Lachen im Halse stecken blieb.

Etwas ernster aber nicht weniger bissig waren die Untiere an diesem Abend gestimmt. Eröffnet wurde mit einer musikalischen Hommage an Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti, zwei aus Italien in die USA eingewanderten Arbeitern, die zu Lebzeiten gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in amerikanischen Fabriken demonstrierten und daraufhin wegen eines nicht begangenen Raubmordes zu Tode verurteilt wurden. Der Grundton des Abends war damit gesetzt und wurde anschließend vom „Untier“-Rudelführer Wolfgang Marschall durch satirische Feinarbeit auf die Spitze getrieben. In rhetorischer Angriffslust an seinem Lesetisch postiert, sinnierte er über die Entwicklung des 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen wird er als „Tag des Bekenntnisses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und Menschenwürde“ gefeiert, was Marschall prompt auch zum Motto des Abends erklärte. In diesem Kontext kam der politikfrustrierte Kabarettist nicht umhin, „der ältesten Arbeiterpartei der Menschheitsgeschichte“ zu gedenken, der SPD. Er resümierte über die Anfänge der Partei, als Lenin noch einer ihrer „Revolutionsazubis“ war, und die ersten fünfzig Jahre, in denen „zwar nicht die Welt, aber wenigstens die Partei noch in Ordnung war“. In gleichem Atemzug wetterte er gegen die parteiinternen JUSOS, die heutzutage nicht mehr nach Arbeiterschweiß, sondern nach einer „Melange aus Patchouli mit Moschus und einem Hauch Cannabis im Abgang“ riechen und damit den passenden Odor zur verfolgten Politik beisteuern würden. Mit Verweisen auf vergangene und aktuelle Ereignisse spekulierte Marschall weiter über das Vorhandensein eines Gewissens bei Rüstungsfabrikanten, die moralisch bedenklichen Werbekampagnen der Bundeswehr, bei denen seltener auf die Todesgefahr hingewiesen wird als auf herkömmlichen Zigarettenschachteln. Marschall ließ seinen erhobenen Zeigefinger wieder einmal tief in der Realität bohren. Zurecht mischte sich da zeitweise unbehagliches Räuspern unter frenetische Lacher und Beifallsbekundungen. Doch mit überregionalen Themen gab sich der Satiriker auch an diesem Abend nicht zufrieden, schließlich lauern die sozialen und politischen Brennpunkte bereits vor der Haustür – eine Tatsache, die spätestens seit der vierstündigen VOX-Dokumentation zum Asternweg auch in den Köpfen der ignorantesten Mitbürger angekommen sein dürfte. Für Marschall bleibt die entsetzte Reaktion auf die Reportage ein Rätsel, ist Kaiserslautern doch „in puncto Brennpunkte immer schon reich gesegnet“. Solche Schlappen boten für den geladenen Ehrengast und Kabarett-Veteranen Henning Venske die perfekte Bühne. Er betrat das Auditorium und begrüßte sein Publikum mit einem herrlich zynischen „Liebe arme Leute“, was er mit der nächsten Begrüßung „Liebe potentielle Arbeits-, Erwerbs-, und Obdachlose“ im zweiten Akt noch steigerte. Am Tag der Arbeit gehört das Thema „Geld“ als „letzte Universalie“ und „fundamentalistische Weltregierung“ zum Grundstoff des kabarettistischen Repertoires. Dieses reizte Venske in alle Richtungen aus. Verbale Hiebe gegen die Bänker und Börsianer, treffend wie boshaft auch als „grundehrliche, gut verdienende und honorige Leute mit den besten Absichten“ karikiert, verfehlten nicht ihr Ziel. Vorausschauende Denker wie Heinrich Heine oder Erich Kästner rezitierend, plädierte Venske für Resozialisierungsmaßnahmen für Investmentbänker und Finanzschwindler, warf dem CSU-Politiker und Bayrischen Staatsminister der Finanzen, Markus Söder, „Christlichen Darwinismus“ vor und wünschte ihm, unter Zustimmung des Publikums, eine Wiedergeburt als „ranzige Portion Zaziki“, und auch „Berufsopportunist“ Siegmar Gabriel bekam sein „Fritten“-Fett weg. Ein Vergnügen zwischen all den politischen Anklagen waren die musikalischen Beiträge von Eva Schön und Marina Tamássy – solistisch wie im Duett. Schön trug im gewohnt kräftigen Tiefklang Lieder vor, die unter den Nationalsozialisten im Dritten Reich verboten waren, darunter Brecht/Weill-Kompositionen. Tamássy referierte Gedichte von Hüsch und Bachmann, und lieferte den musikalisch-politischen Nachdruck zur Veranstaltung. Abschließend versprach Marschall, dass die Untiere der Lokalpolitik noch genauer auf die Finger schauen wollen. Das Motto für künftige Veranstaltungen stehe schon: „Kaiserslautern, soziale Stadt“ – das Thema „Mall“ sei ja nun hinreichend bedient.

x