Kaiserslautern Trojanische Pferde

Der „Echo“ hat es wieder gezeigt: Im deutschsprachigen Pop kommen derzeit Schmeicheleien am besten an. Herziges dominiert, auch bei einstigen Westentaschenrebellen. Die klugen Gedanken, die wilden Zukunftsentwürfe, die Wagnisse, aber auch der nötige Schuss Humor finden sich dieses Frühjahr dagegen bei Österreichern wie Ja, Panik und Bilderbuch, die Punkattitüde halten Kreisky hoch.

„Ich lass für dich das Licht an/ obwohl’s mir zu hell ist/ ich schaue mir Bands an/ die ich nicht mag/ ich gehe mit dir in die schlimmsten Schnulzen/ ist mir alles egal/ Hauptsache, du bist da.“ So banal schmalzig und alte Geschlechter-Stereotypen vertiefend „dichtet“ die Band Revolverheld in ihrer aktuellen Single. Das Album dazu heißt „Immer in Bewegung“, auch wenn es um Sattsein und Sich-Niederlassen geht, um gediegenes Paardasein. Hier spricht kein verständnisvoller „neuer Mann“. Frau und Mann sind in der Revolverheldenwelt unvereinbare Wesen, die eine Beziehung eingehen, weil man das eben so macht. Sich was trauen, anecken, irritieren: Das ist Fehlanzeige im Radiopop von Revolverheld über Tim Bendzko bis Sportfreunde Stiller. Nur ein paar sperrige Untergrundbands wie Messer oder Die Nerven halten hierzulande derzeit die Fahne der intelligenten deutschsprachigen Musik hoch. Dass aber auch scheinbar sanfter Pop mehr als ein Hintergrundgeräusch sein kann, in den hübschen Melodien und Rhythmen Haltung und Stilwille stecken können, zeigen derzeit vor allem Österreicher. Ja, Panik aus dem Burgenland vor allem. Hymnisch, tanzbar, radiofreundlich klingt ihr Album „Libertatia“. Aber vor allem lohnt das Hinhören auf den deutsch-englischen Text, der ungleich mehr verheißt: „Ich wünsch mich dahin zurück, wo’s nach vorne geht, ich hab auf back to the future die Uhr gedreht“, lauten die ersten Zeilen, so widersprüchlich wie einladend, zart und charmant intoniert. „Um uns die Welt, in uns Galaxie.“ Und: „Wo wir sind, ist immer Libertatia. / One world/ One Love/ No nations.“ Dieses Libertatia war dem Bandmythos zufolge eine utopische Kolonie des 17. Jahrhunderts auf Madagaskar, wo zu Freigeistern gewordene Freibeuter eine neue Gesellschaftsform ausprobierten. Ein schöner Schwindel. Dennoch ein wenig programmatisch, gerade in der Offenheit. Ja, Panik sind keine Prediger, die Gruppe (das Wort „Band“ mag man nicht) will mit diesem nun fünften Album aber aufzeigen, was alles nicht so prima läuft in dieser Welt. Schließlich wird schon eingangs Rio Reiser zitiert: „Dieses Land hier ist es nicht.“ „Dance The ECB“ heißt ein tatsächlich zum Hüftschwingen animierender Song, in Anlehnung an das Duo DAF, das einst Diktatoren tanzte („Der Mussolini“). Nun also die Europäische Zentralbank. Naive Weltverbesserer aber sind die verbliebenen drei Mitglieder des früheren Quintetts nicht. Und die Wut wird subtiler ventiliert als am Anfang. Wie im Song „ACAB“: Das Anagramm, das sonst Polizisten beleidigt, wird hier aufgelöst als „All Cats Are Beautiful“, alle Katzen sind schön. Österreichischer Humor mit Berliner Langmut. Dort lebt die Band, die 2005 in Neusiedl am See entstand, seit knapp fünf Jahren. Der trotzig-positive Blick ist auch bewusste Abkehr vom Vorgängeralbum „DMD KIU LIDT“, in dem es um „das Schwarzmalerische, die Absage, das Apokalyptische“ ging, wie Sänger Andreas Spechtl dem „Standard“ sagte: „Ich sehe ,Libertatia’ als ein Manifest des Weitermachens. Wie kann man sich weiterhin behaupten, ohne gleich zu sagen: Die Welt ist schön, uns geht es gut?“ Denn um Trost geht es Ja, Panik nicht. Sonst wären sie bald Schlager. Der 30-Jährige möchte vielmehr „Hochglanz-Popmusik als trojanisches Pferd“ schaffen. Sonnige Musik, die eine gesellschaftspolitische Dimension hat, ohne didaktisch zu werden. „Es muss auch etwas anderes in den Charts geben als unverfängliche Lieder“, meint Spechtl. Ein Einfluss sei auch der Gay-Disco-Sound der 1980er gewesen oder Stilisten wie die auch von Poptheoretiker Diedrich Diederichsen geschätzten Scritti Politti. So untermauert „Libertatia“ auch eine der Diederichsen-Thesen: Er sieht in der queeren, also der jenseits der heterosexuellen Norm entstandenen Musik, einen der wenigen Wege, wie Pop noch innovativ sein. Mit Rollenmustern spielt auch die oberösterreichische Band Bilderbuch: eine Spur jünger als Ja, Panik und geschult in Hip-Hop. Zwar ist das Quartett schon vor neun Jahren in den Teenagerzimmern in Kremsmünster entstanden, doch erst die Single „Maschin“ von Herbst 2013 hat Bilderbuch auch hierzulande Aufmerksamkeit gebracht: Ein (Anti-)Auto-Fetisch-Song über einen gelben Lamborghini, vorgetragen in kieksendem, durch Autotune verfremdeten Antigesang von einem viel zu blondierten Typen im Popperlook der frühen 1980er: Maurice Ernst, 24, spielt mit den Erwartungen. Daher auch das Brechen aller Codes, die Nicht-Mode und das Angebot auf der Website, die entmenschlichte Stimme umzuschalten, auf eine Version ohne Autotune: Musik ist hier Material. Und Hoffnung. Bilderbuch, die mit 15 noch „Struwwelpeter“ zu Punk vertonten, haben bereits 2011 die fröhliche Utopie als subversives Instrument gepflegt: „Karibische Träume“ hieß ein Song mit Video in Alpenästhetik. Sich an der Heimat zu reiben, gehört natürlich dazu als österreichische Band mit Hirn. „Blick auf die Alpen“ heißt denn auch das aktuelle Album der Wiener Band Kreisky, die sich nach dem legendären Kanzler nannte, da der Name in ihrer Heimat „was Großes, Mythisches“ hat. „Komm’, zeig mir dein Kraftwerk/ Zeig mir deine Raffinerie“ beginnt die Single „Pipelines“; zu der Sänger Franz Adrian Wenzl im Video auf einem stilisierten Drachen Fuchur aus „Die unendliche Geschichte“ über den Wolken schwebt. Sanfter als sonst geht es zu: Auch Kreisky versuchen sich – wie vor gut 30 Jahren Bands wie Der Plan – an Pop als trojanisches Pferd. Ihr Anliegen: Kapitalismuskritik, auch wenn sie glauben, dass Musik als Träger für gesellschaftlichen Wandel von Twitter abgelöst wurde. Als Kunstform aber nicht. Mit starren Geschlechterbildern räumt die Band ebenfalls auf: „Schöner Mann am Fließband, zeig’ mir deine Muskulatur“, heißt es weiter in „Pipelines“. Dass dieser böse Witz im Glitzergewand erst heute aus Österreich kommen kann, hat wohl damit zu tun, dass die Szene sich zunächst von Falcos Schatten befreien musste. Auch wenn die an Überideen interessierten Bilderbuch Falco dafür bewundern, dass er Grenzen durchbrach: Die politischeren Ja, Panik hadern allein schon wegen „Jeanny“ mit dem Austropopper: „Mit Falco ist es wie mit Lou Reed: Die haben eine Handvoll gute Nummern, aber noch viel mehr schlechte Stücke“, sagte Andreas Spechtl einmal der „Berliner Zeitung“. „Und sie sind ziemliche Arschlöcher und Chauvis.“

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