Kaiserslautern Totgesagte leben länger

Auch am zweiten Abend des 3. Internationalen Boogie Woogie Festivals umjubelten 250 Besucher die Protagonisten auf der Bühne im Kasino in der Kammgarn. Fünf Boogie-Pianisten, ein Weltklasse-Schlagzeuger, ein Bassist und vor allem der Organisator Albert Koch an der Blues-harp brannten ein Feuerwerk der Lebensfreude ab. Dazu begeisterte die Sängerin Nicole Rochelle (genannt Nikki) ebenso wie die Rock’n’Roll-Tänzer aus Darmstadt.

Den Eisbrecher spielte an diesem Abend der Österreicher Richie Loidl. Da waren die Tasten des Flügels noch ganz kalt. Aber nicht lange. Die starke Basshand, die nicht nur eine Rhythmusgruppe, sondern eine ganze Band ersetzen konnte, die scharf akzentuierten, ständig wiederholten Ostinati machten aus seinem „Vienna Boogie Woogie“ ein mitreißendes Geflecht mit Schleudereffekt. Dass er aber auch einfühlsam zu spielen weiß und die Tasten streicheln kann, bewies er mit seiner Hommage an einen der ganz großen Boogie-Spieler mit „Servus Hans (Möller)“. Kochend heiß im Saal wurde es, als Loidl und der zweite Österreicher Daniel Ecklbauer vierhändig die Tasten zum Glühen brachten. Da zeigte sich, dass sich der Boogie Woogie noch lange nicht totgelaufen hat, wie manche behaupten. Zu „634-5789“ von Wilson Pickett und „Don’t Stop“ von Fleetwood Mac bündelte der Mann aus Traun nicht nur ein Geflecht aus musikalischen Details, er spielte auch umsichtig und mit Intuition und sang dazu mit emotionaler Direktheit. Und schon ging es weiter mit dem Ungarn Balasz Daniel. Die Hörer waren fasziniert von der Leichtigkeit, mit der seine Hände die Tasten schlugen und seine Füße die Pedale traktierten. Beim „Boogie Woogie Country Girl“ düste er zusammen mit Albert Koch an der Harp im Formel-Eins-Tempo los, während Nikki eine unglaubliche Performance als Sängerin zeigte. Noch höher schlugen die Wellen, als der Heidelberger Harald Krüger in die Tasten schlug und das Kasino zum Rocken brachte. Bei Rock’n’Roll-Titeln wie „I’m on fire“ oder „All shook up“ gebot er so virtuos und souverän über die ganze Tastatur, dass man in seinen Piano-Kaskaden das Rauschen des Meeres zu hören meinte. Vollends zum Glühen brachte der Münchener Martin Schmitt die Tasten. In dem weltweit renommierten Pianisten fließt alles zusammen, was die Geschichte des Jazzpianos gebracht hat. Dazu kommt eine pianistische Virtuosität, die durchaus mit der großer Konzert- oder Jazz-Pianisten verglichen werden kann. Die Kadenzen und Läufe sind in seinem Spiel genauso lebendig wie die Arpeggien und die Ornamentik der großen Klaviermusik. Hinzu kommt erzählerisches Talent: Das Publikum unterhielt er auch mit humorvollen Geschichten über Hausmeister und Konzertveranstalter. Im zweiten Set spielten die Protagonisten wieder vier-, sechs-, acht- oder sogar zehnhändig und steigerten sich dabei gegenseitig so in Ekstase, dass der Saal kochte: Nicht zuletzt trug Nikki mit ihrer ganz individuellen Art zu singen und zu tanzen dazu bei. Diese Kindfrau im schicken Dirndl, die aus des USA stammt und in Paris lebt, kann einfach nicht ernst bleiben. Alles, was sie singt, parodiert sie in unvergleichlicher Weise. Da zuckt der ganze Körper wie eine aufgezogene Puppe, sie tanzt wie ein geölter Blitz und singt und scattet mal mit rauer Stimme, mal in engelsgleichem Sopran. Stürme der Begeisterung entfachten auch Albert Koch an der Blues-harp, Pete York am Schlagzeug und Wolfgang Janischowski am Kontrabass. Bei Yorks Spiel hatte man fast das Gefühl, er sei Artist, während Koch es immer wieder verstand, der Mundharmonika die erstaunlichsten Klänge zu entlocken. Dazu wirkten Janischowskis Basslinien, als seien sie getrommelt. Da wollte niemand selbst nach vier Stunden nach Hause gehen. Euphorischer Applaus für alle Beteiligten.

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