Kaiserslautern Tod in den Ruinen von Paris

Puccini ist nicht gerade das Kernrepertoire der Berliner Philharmoniker und ihres Chefdirigenten Simon Rattle. Umso größer war die Spannung vor der Premiere der Oper „Manon Lescaut“ zur Eröffnung der zweiten Osterfestspiele der Berliner in Baden-Baden, die bis 21. April nicht nur im Festspielhaus laufen. Es gelang eine musikalisch eindringliche Wiedergabe des Werks.

„Manon Lescaut“, 1893 uraufgeführt, ist Giacomo Puccinis erste bedeutende Oper, wird aber unverständlicher Weise eher selten gespielt. Selbst Massenets französische Version mit wesentlich mehr Parfüm und viel weniger dramatischer Authentizität ist öfters zu sehen. Nun aber war – bevor es im Mai auch eine Inszenierung am Pfalztheater Kaiserslautern geben wird – im Festspielhaus in einer Koproduktion mit der New Yorker Met Sir Simons Debüt mit Puccinis Oper über das berühmte Buch des Abbé Prévost vom Beginn des 18. Jahrhunderts zu erleben. Ganz leicht und tänzerisch begann Rattle denn auch seine Wiedergabe der Partitur, in der zu Beginn auch Anklänge an Alte Musik zu finden sind. Doch im Laufe des Abends nahm die Intensität und Leidenschaft spürbar zu – und im vierten Akt bot Rattle mit seinem natürlich hochkarätig musizierenden Orchester eine bewegende Interpretation. Allein die aparte Raumklangwirkung mit der hinter der Bühne spielenden Flöte in Manons letzter, erschütternder Arie ist wohl kaum berührender zu hören als mit den Berliner Philharmonikern. Sir Simon ist ja ein Musiker mit viel feinem Klangsinn und expressiver Dynamik. Das ist eine optimale Mischung für Puccini. Hinzu kam in den lyrischen Momenten eine ungemein genaue und facettenreiche Zeitgestaltung, die fern jeder kapellmeisterlichen Routine die Partitur ganz ernst nahm und bar aller Konvention in ihrer Essenz zum Klingen brachte. Die Inszenierung von Sir Richard Eyre verlegte die Handlung vom Rokoko in die Zeit der deutschen Besatzung Frankreichs im Zweiten Weltkriegs. Das machte unter anderem den Einsatz einer Dampflokomotive möglich und bevölkerte die Bühne mit allerhand NS-Soldateska, hatte aber eigentlich keine tiefere Bedeutung. Dass der vierte Akt dann nicht in der Wüste Louisianas spielt, sondern in den Trümmern eines herrschaftlichen Pariser Palais’ ergab keinen einsichtigen neuen Sinn, ja war nach der Verschiffung Manons und Des Grieux’ in die Neue Welt zuvor dramaturgisch prekär. In den aufwendigen und nicht unattraktiven Bühnenbildern von Robert Howell setzte Eyre die Oper ansonsten pittoresk und mit traditionellen Mitteln in Szene. In der Titelrolle bewährte sich Eva-Maria Westbroek als Puccini-Sängerin von Format, die ebenso über jugendlich-dramatische Kraft wie lyrische Eleganz verfügt. Sie gestaltete nicht nur die Sterbeszene am Ende der Oper mit echtem Ausdruck und differenziert eingesetzten stimmlichen Mitteln, sondern vermochte im zweiten Akt auch den inneren Zwiespalt der Figur zwischen der Liebe zu Des Grieux und der Lust am Luxus überzeugend zu vermitteln. Der italienische Tenor Massimo Giordano begann im ersten Akt noch ein wenig leichtgewichtig, gewann dann aber mit dem großen Duett im Zentrum des Werks an Statur und Nachdruck. Dabei wusste er sein klangschönes Stimmmaterial immer kunstvoll und bewusst einzusetzen. Auch in der packenden Arie am Ende des dritten Aktes blieb sein Gesang bei aller Expression stets gebunden. Giordanos Rollenporträt war überhaupt erfreulich frei von gängigen tenoralen Unarten und effekthascherischen Mätzchen. Den Lescaut zeichnete und sang der Bariton Lester Lynch sehr pointiert – und Liang Li stattete den hier überhaupt nicht polternden Geronte mit sehr schönen Basstönen aus. Exquisit und meisterlich waren auch die kleinen Partien besetzt, mit Bogdan Mihai als Edmondo, Kresimir Spicer als Tanzlehrer, Magdalena Kožená als Sängerin oder dem früher in Karlsruhe engagierten Reinhard Dorn als Wirt und Kapitän. Exzellent sang auch der Philharmonia Chor Wien in Walter Zehs Einstudierung.

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