Kaiserslautern Spuren einer flüchtigen Existenz

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Der Philosoph Vilém Flusser (1920 - 1991) gehört zu den einflussreichsten Vordenkern der Kommunikation und der Medien im ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sein Verhältnis zur Kunst war ambivalent, manche meinen sogar, er habe die Kunst im Grunde nicht sonderlich gemocht. Im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) behauptet die als labyrinthisch verschachtelter Parcours angelegte Ausstellung „Bodenlos – Vilém Flusser und die Künste“ das Gegenteil. Wie passt das zusammen?

Auf Bodenlosigkeit verstand er sich. Sie war das Leitthema seines Lebens und Philosophierens und der Titel seiner Autobiografie. Flusser dachte nach über Kommunikation, erkannte, dass „unsere Existenz“ im wesentlichen technisch geworden sei, erfand die Kommunikologie, bearbeitete sprachphilosophische Themen, schloss die Spieltheorie in sein Herz ein. Der aus einer jüdischen Akademikerfamilie stammende gebürtige Prager sah weit in jene mediale Zukunft, die uns heute auf die Füße gefallen ist. Enttäuscht vom Scheitern des deutschen Idealismus verglich er griechische Vasen mit Zyklon B-Dosen. Von frei verfügbaren digitalen Bildern erhoffte er sich eine Antwort auf Auschwitz. Den Künstler imaginierte er sich als „Gedächtnis, in welches Dateien gefüttert wurden, dort prozessiert werden, um dann verändert abgerufen zu werden.“ Sehr sinnlich klingt das nicht. Flusser war anders. Und das hatte mit seiner Biografie zu tun. Mit 19 war er vor den Nazis aus Prag geflohen. Seine Familie sah er nie wieder; sie wurde im KZ ermordet. Der doppelt entwurzelte Sohn machte das Nomadische zur Existenzform, lebte in England und 30 Jahre in Brasilien, dann wieder in Europa, zuletzt 20 Jahre in Südfrankreich. Aus Sprache, Text und Schreiben schuf er sich ein tragbares Vaterland. Wurde in vielen Sprachen wortreich zu Hause. Schätzte das Dialogische, ließ Bücher mit Ko-Autoren zu. Legende ist Flussers Fähigkeit, vorbereitete Manuskripte beiseite zu legen und ein fasziniertes Publikum an der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden teilhaben zu lassen. Vilém Flusser starb einen Tag nach seiner Rückkehr nach Prag bei einem Autounfall auf einer böhmischen Landstraße. Absurder konnte dieser Tod nicht sein. Kuratoren der zum größten Teil aus den Beständen des Berliner Flusser-Archivs zusammengestellten Ausstellung sind der Flusser-Spezialist Baruch Gottlieb und Archiv-Direktor Siegfried Zielinski (65), der jetzt die Nachfolge von Peter Sloterdijk (68) als Rektor der Hochschule für Gestaltung antritt, als Ko-Kurator wird ZKM-Vorstand Peter Weibel (71) genannt; ein Veteranentreffen, wenn man so will. Zu sehen sind nun Arbeiten von 30 Künstlern, die irgend etwas mit dem Mann mit dem eindrucksvollen Prophetenkopf zu tun haben – eine mal skurrile, mal erhellende Mischung aus Flusser-Devotionalien, Bild- und Tondokumenten, allerlei digitalen Artefakten und wandgroßen Projektionen. Sie erschließt sich, wenn überhaupt, erst durch zähes und langwieriges Studieren. Die Anzahl der PC-Stationen ist beeindruckend. Wer hier etwas schneller durch will, der landet fast unvermeidlich in den Fängen der fürsorglichen Karlsruher Museumspädagogik. Das ist die Crux des anschließend nach Berlin weiter ziehenden „Parcours“, den die Macher als Einladung verstehen, sich „die Bewegung der flüchtigen Existenz Vilém Flussers als ein Modell für jene Gewalt des Zusammenhanges vorzustellen, den wir das 20. Jahrhundert nennen“. Am Anfang der Schau steht ein winziges hebräisches Gebetbuch. Die Mutter hatte es dem Sohn noch zugesteckt, zu Goethes „Faust“, der mit in die Emigration ging; ein Schock. Anschließend bekommen wir den sprunghaften Meisterdenker als perfekt ausgeleuchtetes Medienkunstwerk präsentiert, sehen auf mit der Aura des Kunstwerkes ausgestattete Zeitungsausschnitte, Manuskriptseiten, Korrespondenzen, Reiseaufzeichnungen, Plakate und andere Flachware. Flussers „Reisebibliotheken“ hängen unerklärt in verglasten Regalen an der Wand und eine seiner Reiseschreibmaschinen (eine Olympia) steht auf einem Sockel vis-à-vis von Nam June Paiks als Schreibmaschine getarnter „Ich-Maschine“, was eine hübsche Pointe ist im akribisch gepinselten Heiligenbildchen, in dem die Unterschiede zwischen echter Kunst und ins Kunstvolle gesteigerter Denker-Existenz fein übermalt sind. Die Flussers unendlichen Redestrom festhaltenden Videos sind jedoch das Beste an der Würdigung. Die Ausstellung —„Bodenlos – Vilém Flusser und die Künste“, bis 18. Oktober im ZKM, Karlsruhe; dienstags bis freitags 10 bis 18 Uhr, samstags und sonntags 11 bis 18 Uhr —Internet: www.zkm.de

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