Kaiserslautern Senta als Geisterbraut

Sentas Perspektive ist der Dreh- und Angelpunkt in Aurelia Eggers′ Inszenierung von Wagners Oper „Der Fliegende Holländer“ am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken. Stephan Manteuffels Einheitsbühne wurde durch die Videoprojektionen von Philipp Contag-Lada zum Innen- und Außenraum zugleich – eine Seelenlandschaft, die in stetem Wechsel Sentas Befindlichkeit und Lebenssituation widerspiegelt.

Kafkaeske Enge und unendliche Weite zugleich verkörpert dieser Raum, der durch eine schräg gekippte Spiegelfläche viele Sichtweisen zulässt. Hier kommt zu den Klängen der Ouvertüre aus dem Dunkel eine alte Frau (Naira Glunchadze) und durchlebt noch einmal ihr Leben; auch die junge Senta (Emma Vetter) ist auf der Bühne präsent, nachdem der „musikalische Film“ in Retrospektive abgelaufen ist und die Handlung um Senta, ihren Vater Daland (Hiroshi Matsui), ihre mütterliche Vertraute Mary (Judith Braun), ihren Jugendfreund Erik (Timothy Richards) und den fremden Seefahrer, den „Holländer“ (Olafur Sigurdarson) einsetzt. Wagners Vorlage, Heinrich Heines Fabel vom Verdammten, der ewig zur See fahren muss, bis er eine Frau findet, die ihn durch ihre Liebe erlöst, gehört zum Inbegriff der fantastisch-romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Sie schildert die Frau als Projektionsobjekt aus der Sichtweise des Mannes – ein Zugriff, dem sich Regisseurin Aurelia Eggers konsequent verweigert. Die vordergründige Aktion, die sich um die Verheiratung Sentas durch ihren Vater entsprechend den bürgerlichen Konventionen dreht, interessiert sie allenfalls als Vorlage, den seelischen Prozessen gilt ihr Augenmerk. Senta steht im Fokus eines Kaleidoskops, in dem sich die Erzählebenen überlagern: Sie liegt schon, überdeutlich plakativ inszeniert, „servierfertig“ im Bett, als ihr Vater sie an den reichen „Holländer“ verkuppelt; sie imaginiert sich in ihrer Ballade in eine Zukunft mit dem Holländer; sie hat einen handfesten „Ehekrach“ mit ihrem Jugendfreund Erik – und sie sieht sich immer wieder mit ihrem eigenen Schicksal in Gestalt ihrer Doppelgängerin konfrontiert. Während der Ballade bricht durch Sentas visionäre Kraft die enge Realität auf und verschwindet zugunsten einer weiten Unterwasserwelt in mystisch-bedrohlichen Grüntönen, die schließlich über Senta zusammenzustürzen scheint: Neue Gefangenschaft, diesmal in der Unendlichkeit, anstelle der Utopie grenzenloser Freiheit? Zu den berührendsten Momenten gehört Sentas erste Begegnung mit dem Holländer: Voll subtiler Erotik und zärtlicher Hingabe finden sie spontan zu einer ungezwungenen, natürlichen Intimität – sie waren einander bestimmt und haben sich gefunden, in einem ort- und zeitenthobenen Seelenraum in magischem Blau inszeniert. Während der Orgien der Seeleute entfernt sich Senta immer weiter von ihrer Welt und transzendiert im Beisein der Schicksalsgöttin, ihres Alter Ego, zur schemenhaften Geisterbraut, die sich mit dem Holländer vereinigt. Der szenischen Vielschichtigkeit entspricht auch die musikalische Umsetzung: Die Ausdruckskraft von Wagners Musik hebt der neue Generalmusikdirektor Nicholas Milton durch kammermusikalisch geformte Plastizität im Wechselspiel mit dramatischen Prozessen hervor. Fern aller Dämonie singt Olafur Sigurdarson den Holländer mit sonor strömendem, nuancenreichem Bass: ein zu tiefer Empfindung fähiger Mann, dessen Verzweiflung durch Sentas Hingabe erschüttert und überwunden wird. Emma Vetters Senta entwickelt sich zur stimmgewaltigen Heldin, auch Timothy Richards als Erik ist ein klangschöner lyrischer Tenor mit dramatischem Potenzial. Hiroshi Matsui als Daland, Judith Braun als Mary und Janos Ocsovai als Steuermann runden mit dem Chor des Saarländischen Staatstheaters ein stimmiges und spielfreudiges Ensemble ab.

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