Kaiserslautern Rechenspiele

Ungewöhnliche, selten gespielte Musik an einem für das Orchester ungewöhnlichen, neuen Ort: Mit dem zweiten Konzert des Festivals „Modern Times“ gastierte die Deutsche Staatsphilharmonie unter ihrem Chefdirigenten Karl-Heinz Steffens am Donnerstag in der Ludwigshafener Friedenskirche. Auf dem Programm standen drei Brandenburgische Konzerte von Bach sowie Musik von Strawinsky und Hindemith, dessen sich hinter dem Titel „Kammermusik Nr. 5“ verbergendes Bratschen-Konzert von Nils Mönkemeyer beeindruckend interpretiert wurde.

Zwischen dem zweiten Brandenburgischen Konzert aus dem Jahr 1718 und der 1995 abgeschlossenen Komposition „In-Schrift“ von Wolfgang Rihm, die am 28. September im Abschlusskonzert von „Modern Times“ im Ludwigshafener Pfalzbau erklingen wird, liegen 277 Jahre. Das mag für die Menschheit eine lächerlich geringe Zeitspanne sein, in der Musikgeschichte vollziehen sich in dieser Zeit mehrere Epochenwenden. Es ist also mehr als ungewöhnlich, dass ein großes Sinfonieorchester wie die Deutsche Staatsphilharmonie eine solche Repertoire-Bandbreite im Angebot hat, zumal es ja in Mode ist, für jede Musikepoche eigene Spezialensembles einzusetzen, für Alte Musik ebenso wie für Zeitgenössisches. Für das vermeintlich konventionelle Sinfonieorchester bleibt da nur noch der klassisch-romantische Zwischenraum. Doch in diesem eingesperrt, fühlt sich Karl-Heinz Steffens alles andere als wohl. Er will mehr, und er fordert mehr, von sich ebenso wie von den Musikern. Dass diese aber nicht an einem Abend völlig problemlos vom Hindemith-Interpreten zum Bach-Spezialisten und wieder zurück wechseln können, wurde im imposanten Rundbau der Friedenskirche deutlich. Wobei – bei ungünstigem Zuschauerplatz – auch die Verteilung der Musiker im Raum für Probleme sorgte. Steffens ließ die Brandenburgischen Konzerte Nummer 1, 2 und 6 in der linken Ecke des Altarraums spielen. Für Strawinskys Konzert in Es-Dur „Dumbarton Oaks“ wechselten die Musiker dann ebenso auf eine Zentralbühne wie für die Kammermusiken Nummer 1 und 5 von Hindemith. Dieser Standort sorgte für einen direkteren, transparenteren Klang, aus der Ecke heraus klang es bisweilen dagegen etwas dumpf und verschwommen. Hinzu kommt, dass Karl-Heinz Steffens nichts fremder sein dürfte als die Dogmatik der Historischen Aufführungspraxis. Er legt Wert auf größere Bögen, gönnt sich und den Musikern auch einmal getragene Tempi und lässt der Musik Luft zum Atmen. Das Ergebnis sind Brandenburgische Konzerte, wie man sie lange nicht gehört hat, mit herausragenden Instrumentalisten, die eindrucksvoll bewiesen, über welch solistische Qualitäten das Orchester verfügt. Das Konzert stand unter dem Motto „Die Schönheit der Zahlen 1 – Newtons Apfel“, und Pfalzbau-Intendant Hansgünther Heyme hatte die Aufgabe übernommen, mit rezitierten Texten zu Naturwissenschaftlern wie Galilei, Newton oder Kurt Gödel den Zusammenhang zwischen der Logik des naturwissenschaftlichen Denkens und der musikalischen Komposition zumindest anzudeuten. Dieser ist nicht nur in der Musik Bachs zu erkennen, sondern auch in den Kompositionen Strawinskys und Hindemiths, deren zum Teil streng strukturalistischer, wenn man so will neu-sachlicher Aufbau eine klare Absage darstellt an die überschäumende Emotionalität der Spätromantik im frühen 20. Jahrhundert. So wie Nils Mönkemeyer den langsamen Satz im Hindemith-Konzert gestaltete, kamen einem allerdings Zweifel an diesem anti-romantischen Ansatz: Das war äußerst anrührend, aufwühlend, von einer packenden Intensität.

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