Kaiserslautern Perlen des Schönklangs

Eine Sternstunde der Musik erlebten die Zuhörer am Sonntagabend in der bis auf den letzten Platz besetzten Stiftskirche zum 450. Geburtstag von Claudio Monteverdi. Unter Leitung von Jochen Steuerwald gab die Evangelische Jugendkantorei der Pfalz eine klangfarblich ausgefeilte Wiedergabe von Monteverdis „Selva morale et spirituale“. Begleitet wurde sie von der Cappella Sagittariana Dresden sowie sieben Solisten.

Schon zu Lebzeiten galt Claudio Monteverdi (1567 bis 1643) als ein begnadeter, innovativer Künstler, der auf geradezu kühne Art und Weise mit traditionellen Formen brach. Als Vorreiter des stilistischen Umbruchs an der Schwelle zum 17. Jahrhundert von der Musik der Renaissance zum Barock war er an der Entwicklung neuer Kompositionstechniken maßgeblich beteiligt. Die 1641 veröffentlichte „Selva morale et spirituale“ („moralischer und geistlicher Wald“) ist eine Sammlung von Psalmen und Motetten für die Messe und Vesper als den beiden wichtigsten mit Musik ausgestatteten Gottesdienstformen. Monteverdi komponierte sie als Kirchenmusiker von San Marco, Venedig, ein Amt, das er 30 Jahre inne hatte. In diesen Vesperpsalmen herrscht eine große Variabilität der Stile und Besetzungen. Monteverdi unterscheidet die Kompositionen „da Capella“ im alten Stil (bei Monteverdi immer mit einem „p“ geschrieben) und „concertanto“ (mit obligaten Instrumenten). Auch wird ständig gewechselt zwischen solistischen Teilen und chorischen Tutti-Abschnitten, und die Zahl der Solo- wie Tutti-Stimmen variiert im Einzelnen zwischen den Psalmen stark. Schon mit den ersten Tönen des Gloria wird klar, dass es sich hier um eine emotionsgeladene Interpretation handelt. Die Polyphonie Monteverdis wirkt aufregend und eindringlich, bildhaft und expressiv. Zumal die Deutung Steuerwalds radikal angelegt ist: Sie treibt die harmonischen Schärfen, die exzentrische Stimmregie, die Ausdrucksbesessenheit Monteverdis auf die Spitze. Aber nur so kann man diese Alte Musik, die so frappierend modern und neu klingt, aufführen: mit der kompromisslosen Hingabe an einen der kühnsten Komponisten der Geschichte. Zur Umsetzung seines Konzepts kann sich der Leitende Kirchenmusikdirektor auf zwei erstklassige Ensembles verlassen, die keinen Augenblick enttäuschen. Mit vielfarbiger Gestaltung macht die Kantorei die „Selva“ zu atemberaubend spannenden Perlen des Schönklangs. Die filigranen Psalmen offenbaren eine schlichte Grundhaltung, die aber in affektgeladenen Stellen in ausdrucksvolle Emotionalität umschlagen können. Die jungen Sänger meistern diese vokaltechnisch extrem hohen Anforderungen an Stimmumfang, Intonationssicherheit und Expressivität mit äußerster Bravour. Und was hat dieser Chor nicht alles zu bieten: fragile Melodiebögen, ein stufenloses Abblenden der Dynamik, wie von Geisterhand geregelt. Das harmonische Raffinement dieser Musik, ihre Feinheiten und Valeurs kosten die Sänger aus und intonieren dabei mit glasklarem Ton; andererseits verleihen sie ihren Stimmen aber auch ein warmes, zart bebendes Timbre. Besonders eindrucksvoll der lange, ruhige Atem beim Ritardando des „Amens“ am Schluss jedes Psalms. Seinen außerordentlich hohen Standard beweist der Chor erst recht in den fünfstimmigen polyphonen Sätzen, aber auch in dem herrlich gebundenen Legato-Gesang wie in dem Psalm 117 („O ihr Blinden“). Eine musikalische Demonstration ohne gleichen ist das „Magnificat primo“ zum Schluss. Das Tempo, das der Dirigent vorlegt, ist ebenso atemberaubend wie das Frage-Antwort-Wechselspiel zwischen Chor und Solisten. Auf hohem Niveau agieren auch die Solisten: Verena Gropper und Julia Kirchner mit der Makellosigkeit und frappierenden Leichtigkeit ihrer Sopranstimmen in leuchtend, extrem hohen Lagen; die beiden veritablen Tenöre Henning Jensen und Georg Poplutz, die mit prachtvollem Timbre mühelos die virtuosesten Koloraturen bewältigen; der elegisch singende Altus Alexander Schneider, betörend und mit großem Geschick zwischen Falsett- und Brustregister wechselnd und nicht zuletzt die beiden Bässe Markus Flaig und Matthias Lutze mit ihren kräftigen, gut gerundeten Stimmen. Besonders delikat die Cappella Sagittariana aus Dresden, die bei historischer Aufführungspraxis und Verwendung des Originalinstrumentariums mit Zinken, Gamben, Orgel, Theorbe oder Harfe die komplexe Klangwelt sensibel aufschlüsseln und dabei eine hervorragende Visitenkarte abgibt. Der italienische Meister hätte unweigerlich seine Freude daran gehabt. Das begeisterte Publikum spendete fünf Minuten lang Ovationen – im Stehen.

x