Kaiserslautern Nicht von dieser Welt

Es war die dritte, vielleicht sogar die wichtigste Premiere bei den diesjährigen Salzburger Festspielen. Und es war die dritte szenische Enttäuschung. „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss, inszeniert von Altmeister Harry Kupfer, ist eine typische Produktion des scheidenden Intendanten Alexander Pereira. Geprägt von einer opulenten Ästhetik, auf Hochglanz poliert, mitunter umjubelt vom Publikum – und doch so langweilig am Libretto entlang inszeniert. Dass der Abend dennoch zum Erlebnis wurde, lag an den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Franz Welser-Möst, die zwar häufig zu laut, immer aber unter aufregender Hochspannung musizierten. Die Premiere am Samstag war jedenfalls einer dieser Festspielabende, der den Nachweis erbrachte, dass dieses Orchester zu Recht als eines der besten weltweit gilt.

Mozart und Strauss gehören zu Salzburg wie Wagner zu Bayreuth. Der eine, weil er hier geboren und bis zur süßen Kugel heruntergebrochen ohnehin omnipräsent ist, der andere, weil er die Festspiele mitbegründet hat. Man durfte also durchaus gespannt sein auf den Eröffnungsreigen der Opernpremieren mit Mozarts „Don Giovanni“ und „Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Doch beide Inszenierungen waren eher auf das internationale Festspielpublikum abgestimmt als sie uns szenisch sonderlich viel zu sagen hätten. Da ist dann – trotz Produktionen, die schlichtweg gescheitert sind – Bayreuth doch viel mutiger und avancierter. Dabei könnte doch gerade der „Rosenkavalier“ ein Stück sein, mit dem man unserer Event-vernarrten Zeit einen Spiegel vorhalten könnte. Dieser hochnäsige Standesdünkel, der in der Oper durch den Land-Adligen Ochs von Lerchenau verkörpert wird, diese Attitüde der permanenten Herablassung, sie begegnet einem in Salzburg ja quasi an jeder Ecke, beginnend im Hotel, endend im Festspielhaus. Hier hat der Bayer Strauss im Grunde ein zeitloses österreichisches Gesellschaftsporträt geschaffen, das selbstredend ungern so verstanden wird. Auch nicht von Harry Kupfer. Der verlegt den „Rosenkavalier“ in die Entstehungszeit der Oper kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, was aber gänzlich ohne szenische Konsequenzen bleibt. Stattdessen nutzt der Videodesigner Thomas Reimer die ganze Breite der Festspielhausbühne und macht daraus eine Kinoleinwand mit Standbildern. Wir sehen beeindruckende Aufnahmen aus Wien: ein Blick über die Dächer der Stadt, ein prachtvolles Stadtpalais, einen Palmengarten und den Vergnügungspark Prater. Man schaut und staunt, freut sich über die Ästhetik der Ausstattung, zu der noch Hans Schavernoch (Bühne) und Yan Tax (Kostüme) ihren Beitrag leisten, und wartet vergeblich darauf, dass sich vor diesem Hintergrund Musiktheater ereignen würde. Selbst die Personenführung enttäuscht bei einem so erfahrenen Theatermacher wie Harry Kupfer. So bleibt auch der ganze Witz dieser „Farce“ – als solche haben Librettist Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss den „Rosenkavalier“ konzipiert – auf der Strecke. Kupfers Regie doppelt zum Teil die Aussage der Musik, und wenn er dann am Ende zu dem ebenso schönen wie kitschigen Duett zwischen Octavian und Sophie eine naiv-schnulzige Rosamunde-Pilcher-Kulisse in einem Park samt weißer Bank inszeniert, dann ist man den Wiener Philharmonikern und Franz Welser-Möst dankbar, dass sie etwas genauer hingeschaut haben beim Blick in die Partitur. Denn die erzählt ja nicht nur etwas von Melodienseligkeit und Schönheitstrunkenheit, besteht nicht nur aus emphatischen Kantilenen und Mozart abgelauschtem Pseudo-Zeitkolorit aus dem Wien zur Mitte des 18. Jahrhunderts, nicht nur aus spätromantischem Pathos und typisch Strauss’scher Hochglanz-Instrumentation. Wohlgemerkt: Dies alles ist dem „Rosenkavalier“ von Strauss selbstredend auch mitgegeben worden, und Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker präsentieren phasenweise auch einen der Opulenz des Bühnenbildes Konkurrenz machenden Hochglanz-Strauss-Klang. Aber sie entdecken eben auch die kleinen Leute zwischen all diesen affektierten adligen Affen der Oper, das pralle Leben inmitten all dieser gekünstelten Verstellung. Das klingt grell, bizarr und grotesk, und noch selten hat man einen „Rosenkavalier“ gehört, der an so vielen Stellen an Mahler erinnert. Der Preis für diese ebenso plastische wie mitunter gar verstörende Wiedergabe ist jedoch eine Lautstärke, welche die Sänger häufig in Bedrängnis bringt. Dabei hat diese Produktion ganz exquisite Stimmen zu bieten, allen voran Krassimira Stoyanova als Marschallin. Ihr gelingt ein eindrucksvolles Porträt einer ebenso liebenden wie entsagenden, mit der Unerbittlichkeit des Alterns zwar hadernden, diese letztlich aber akzeptierenden Frau. Günter Groissböck ist endlich mal ein Ochs aus der Mitte des Lebens, voller naiver Haudraufmentalität, mit leichten Schwächen in der Tiefe. In ihrem Schlussduett, das ja von Strauss bei aller Schönheit durch scharfe Dissonanzen gebrochen wird, finden auch die Stimmen von Sophie Koch (Octavian) und Mojca Erdmann (Sophie) zu einem tief berührenden Zusammenklang. Adrian Eröd als Faninal rundet die überzeugende Ensembleleistung in den Hauptpartien ab. Ein Fazit: ein „Rosenkavalier“, der musikalisch und stimmlich Festspielniveau erreicht, szenisch hinter den Erwartungen zurückbleibt. Das Publikum wird’s nicht weiter stören. Am 21. August kann man sich auf Bayern 3 selbst ein Bild machen.

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