Kaiserslautern Konzerte in Baden-Baden begeistern

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Mit seinem ersten Konzertprogramm am Pult der Berliner Philharmoniker nach seiner Ernennung zum neuen Chefdirigenten kam Kirill Petrenko auch nach Baden-Baden. Der Abend bei den Osterfestspielen war eine Sensation. Aber auch die Konzerte der Berliner unter Noch-Chef Simon Rattle boten musikalische Glanzlichter.

Er ist der Richtige: Schon nach Mozarts „Haffner“-Sinfonie KV 385 am Anfang des von Kirill Petrenko geleiteten ersten Orchesterkonzerts der Berliner Philharmoniker war dieser Gedanke zwingend. Denn das, was der russische Maestro aus der Sinfonie machte, war vom ersten Takt an phänomenal. Vor Geist spürend, originell und quicklebendig, zugleich aber auch unglaublich stilsicher und wissend um die Ästhetik der Musik der Klassik war seine Wiedergabe. Die Berliner konnten an ihm nicht vorbeigehen. Auch wenn er womöglich nicht die erste Wahl war, weil er ja bekanntlich erst bei der „Nachwahl“ auserkoren wurde: Petrenko ist eine, wenn nicht die Ausnahmeerscheinung unter den Dirigenten der Gegenwart und zumindest in seiner Generation herausragend. Das bestätigte er auch bei seiner Interpretation der h-moll-Sinfonie von Tschaikowsky, der „Pathétique“. Hier faszinierten nicht allein die klangliche Farbenpracht und die instrumentale Differenzierung, zu der er das Elite-Orchester animierte, sondern wie bei Mozarts noch mehr die im Ausdruck bewegend unmittelbare und in der Ausarbeitung der Form ungemein facettenreiche Lesart der Partitur. Bei Petrenko, der übrigens vor 17 Jahren im Edenkobener Herrenhaus Teilnehmer am Dirigierkurs für Neue Musik bei Peter Eötvös war, ist jeder Takt individuell ausgeprägt und mit Leben erfüllt. Sein Musizieren ist auf eine faszinierende Weise völlig frei, weil nicht in konventionelle Muster einzuordnen. Es ist zugleich aber auch sehr streng, weil immer gebunden an das Werk und dessen größtmögliche emotionale und formale Durchdringung. Vielfältiger in Farben und Nuancen, aber auch konsequenter im Ausdruck ist diese vielgespielte Sechste kaum je zu erleben. Zwischen Mozart und Tschaikowsky führte Kirill Petrenko sicher und mit anrührender Aura durch John Adams’ „The Wound-Dresser“ nach dem Gedicht von Walt Whitman. Der Bariton Georg Nigl war der mit subtiler Deklamation überzeugende Solist. Schon 1989 mit Claudio Abbado und 1999 mit Sir Simon Rattle hatten die Berliner Philharmoniker die richtigen, weil hochgradig produktiven, dem Neuen gegenüber aufgeschlossenen und zu tiefgründigen Deutungen des klassischen Repertoires fähigen besten Dirigenten ihrer Generation an ihre Spitze gewählt. 30 Jahre ist es jetzt her, dass Rattle seinen Einstand bei dem Orchester gab: mit Mahlers sechster Sinfonie. Nun dirigierte er sie wieder – und die intime Kenntnis des Werks war Garant einer grandiosen Interpretation. Wie kaum einem seiner Kollegen gelingt es Sir Simon, das aufwühlende und hochkomplexe Werk klar zu erfassen und in seiner Form sinnfällig zu vermitteln, ohne die Extreme im Ausdruck zu nivellieren. Im Gegenteil: Gerade die immense Erfahrung mit der Partitur lässt den Dirigenten das Werk uneingeschränkt und vibrierend auf den Punkt bringen. Überlegen im Zugriff, überaus vielfältig im Einsatz der musikalischen Ausdrucksmittel und deshalb überwältigend in der sinnlichen Wirkung war im zweiten Konzert unter Rattle die Wiedergabe des Konzerts für Orchester von Belá Bartók. Auch hier gewann Rattle dem Stück ganz viele packende und sonst vernachlässigte Momente ab. Eine Solistin von Gnaden im Violinkonzert von Antonin Dvorak war Lisa Batiashvili, die dabei einen hinreißend schönen Geigenton mit edler Linienführung, virtuoser Brillanz und erlesener Gestaltungskunst verband. Die Berliner Philharmoniker glänzen bei ihren Osterfestspielen in der Kurstadt nicht nur in Gänze in der Oper und den großen Konzerten, sondern auch „en detail“ in kleinen Gruppen bei den im fünften Jahr längst Kult gewordenen Meisterkonzerten an verschiedenen Orten in der Stadt und im Umland. Fast alle waren heuer ausverkauft – insgesamt lag die Auslastung des Festivals mit 25.000 Besuchern bei 93 Prozent. Ausverkauft war auch das Konzert mit Mozarts „Gran Partita“ KV 361 im Kurhaus. Holzbläser der Philharmoniker, darunter der aus Kaiserslautern stammende Solofagottist Stefan Schweigert, spielten die herrliche Serenade nicht nur technisch brillant, sondern auch mit animierendem Elan und einer immer wieder wahrlich unerhörten Klangkultur.

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