Kaiserslautern Klangperlentaucher und Gipfelstürmer

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Mit hoch interessanten Beiträgen wartete das Kammgarn Jazzfestival am Freitag und Samstag auf. Dabei wussten die preisgekrönte Pianistin Younee aus Südkorea, die junge Julia Biel aus London mit ihrer elektrisierenden Stimme sowie der Chartstürmer Michel Reis aus Luxemburg als lyrischer Pianist zu begeistern. Weltklasse das hochrangige Trio Mare Nostrum mit dem Trompeter Paolo Fresu, dem Akkordeonisten Richard Galliano und dem Pianisten Jan Lundgren. Den Jazz des 21. Jahrhunderts servierte auch Trompeter Joo Kraus mit seiner Band.

Mit ihren brillanten pianistischen Fähigkeiten begeisterte von Beginn an die in Mittelfranken wohnhafte Younee. Die charismatische junge Dame betrat am Freitagabend als erste die Bühne, setzte sich an den Flügel und spielte, dass alle Schubladen aus den verstaubten Schränken fielen. Genres, Stile, Kategorien? Waren gestern. Bereits mit ihrem ersten Stück „Piano Virus“ hatte sie ihr Publikum infiziert. Bestechend ihr atemberaubender Anschlag. Eine Stahlhand schien in diesen zarten Fingern zu stecken. Da platzten die Noten aus allen Nähten, um im nächsten Moment Zartheit zu verströmen. Sie verstand nicht nur die stürmische Vehemenz durch ihre gesamten Eigenkompositionen aufrechtzuerhalten, sondern vor allem die dynamische Vielfalt plastisch zu erspüren. So war ihr Spiel nicht nur für sie selbst, wie sie mit ihrem zauberhaften Deutsch verriet, ein spannendes Abenteuer, sondern auch für die Zuhörer. „Absent Variations“ war ein spontan entstandenes Stück, dessen Variationen völlig unterschiedlichen Charakter hatten. Alles in allem ein perfekter Mix aus Klassik, Jazz, Improvisation und Blues, mal lyrisch, mal swingend, mal griffig und hauchzart im Nichts verklingend. Die „Toccata and Blues in E-Minor“ baute eine ungeheure Spannung auf, und groovige Passagen wurden durch die Toccata-Form konterkariert. „The Moment“, komponiert, als ein Hexenschuss ihren Körper lahm gelegt hatte, begann mit zwei dissonanten Tönen, die diesen schockierenden Moment charakterisierten, gefolgt von einem wiederholten Bass-Riff und einer perlenden Melodielinie mit der rechten Hand. Ihr inneres Glühen übertrug sie dabei auf die Zuhörer. Fast noch mehr betörte sie das Publikum bei Mendelssohns „Auf den Flügeln des Gesangs“ mit ihrer zarten Stimme. In der mit Ovationen herausgeforderten Zugabe bewies Younee, dass sie aus dem Moment heraus wunderbare Melodien zu erfinden vermag. Kontrastprogramm mit dem anschließenden Joscho Stephan Trio. Mit harmonischer Raffinesse und rhythmischem Gespür wiesen der Ausnahme-Gitarrist Joscho Stephan aus Mönchengladbach und die niederländische Gypsy-Swing-Ikone Stochelo Rosenberg nach, dass sie zu Recht zu den besten ihres Genres zählen. Ganz im Sinne des legendären Django Reinhardt demonstrierten sie einen farbenreichen Personalstil, in das das Vokabular des modernen Jazz einfloss: virtuose Viobratotechnik, spannungsgeladene Bendings, kaskadenhafte Arpeggien, blitzartige Upstroke-Akzentuierungen. Die beiden warfen sich auch souverän die Bälle zu. Bloß: Sie spielten ausschließlich um der Virtuosität willen. Man vermisste die Balance zwischen laut und leise, zwischen Harmonie und Angriff. Und so wirkte das Trio (am Bass Volker Kamp) auf die Dauer ermüdend und eintönig. Diese Gefahr ging auch von der jungen Julia Biel, einer der vielversprechendsten neuen Stimmen des internationalen Jazz, aus. Das Multitalent, das sich auf Klavier und Gitarre abwechselnd begleitete, bezirzte das Publikum im proppenvollen Cotton Club mit einer angenehmen, oft tieftraurigen und doch kristallklaren Stimme, während der Schlagzeuger Ayo Salawu mit raffinierten Schlagfolgen und komplizierten Tempowechseln aufhorchen ließ und der Bassist Ben Hazleton den Fels in der Brandung gab. Da überlagerten sich Rhythmen und steigerten sich zu intensiver Dichte. Jazzfeeling und das richtige Gefühl für die Dirty Tones bewies Julia Biel mit ihrer Fähigkeit, den Ton auf vielfältigste Weise mit emotionalen Inhalten aufzuladen. Nur ihre Stimmfarbe zu verändern, das gelang ihr weniger. Der absolute Höhepunkt am Samstag war das Projekt Mare Nostrum mit dem sardischen Trompeter Paolo Fresu, dem französischen Weltklasse-Akkordeonisten Richard Galliano und dem schwedischen Pianisten Jan Lundgren. Das war die Renaissance der behutsamen Tupfer, des mild Hingehauchten, der großen, atemlosen Pausen – ein echter Gegenpol zur schmerzhaften Schnellfeuermusik. Ein Drummer wäre hier nur störend gewesen, selbst wenn er noch so federleichte Besenviertel beigemengt hätte, zumal das Trio die Zeit im Kopf hatte. Das waren wandelbare Bilder mit tief aufwühlenden Geschichten, komplex modelliert von drei grandiosen Lautmalern. Wunderbar sanfte Melodien. Und traumhaft schön. Ihre Virtuosität mussten die Drei gar nicht erst zur Schau stellen. Vielmehr erwiesen sie sich als Meister der melancholischen Stimmungen. Die Töne ließen sie sanft dahinfließen, sich mühelos entfalten und den Raum mit Klang füllen. Und so konnte eine Musik entstehen, die durch wunderschöne Poesie und Klangfarben den Hörer in eine ganz eigene Traumwelt entführte, ja verzauberte. Spannend war für den Hörer, wie diese unterschiedlichen Charaktere zusammenfanden. Da verdichtete sich der Austausch zu einem Konzentrat feinster Interaktionen. Jeder für sich bezog Elemente aus Jazz, Volks- und klassischer Musik in sein Spiel ein, und als Trio schwelgten sie weitgehend swingfrei in luftigen Linien. Das schmiegte sich an die Seele, emotional und profund und melodisch im Balladenton gehalten. Europa musikalisch vereint. War das nicht eine Botschaft? Wahrhaft eine Sternstunde des Jazz. Der Samstagabend startete mit dem Luxemburger Michel Reis Trio. Auch das war eine spannende Angelegenheit, weil hier der lyrische Pianist und Komponist Michel Reis auf zwei recht aggressive Kollaborateure traf. Gerade dieser Kontrast zwischen dem impressionistisch hingehauchten Spiel von Reis und dem virtuosen Draufgängertum des Bassisten Robert Landfermann und des Schlagzeugers Silvio Morger machte den Reiz dieses Trios aus. Reis konstruierte mit erstaunlicher Geläufigkeit leichte, fragile Akkorde und Improvisationen, in die die beiden Begleiter kunstvoll eindrangen und polyrhythmisch verschränkten. Fast spielerisch verschmolzen dabei die Elemente von Komposition und Improvisation. Aber genau hier lag auch das Problem. Denn das – durchaus meisterhafte – Gezupfe, die experimentellen Schleif-, Kratz-, Pfeif- und Schrammel-Töne auf Saiten, Blechen und Fellen wirkten oft störend, zumal die beiden Herren den Pianisten dabei total übertönten. So nahm auch dieses Trio eine janusköpfige Gestalt ein. Absolutes Kontrastprogramm mit dem Joo Kraus & Tales in Tones Trio zum Abschluss im Cotton Club. Der Spitzen-Trompeter Joo Kraus entpuppte sich als ein aberwitziger Musikabenteurer sowie ein Klangperlentaucher in den Tiefen der Musikmeere. Und als ein Bläser mit einer einzigartig weitgefächerten Farbpalette. So glich der Auftritt dieses wunderbar experimentierenden Quartetts einer Kutterfahrt auf hoher See, immer das Gelobte Land vor Augen. Die Energie und Eleganz, mit der Kraus seine Soli gestaltete, seine Kraft und Geschmeidigkeit selbst in schwindelerregend höchsten Registern, frech und rotzig vorgetragen wie dies in wildesten Zeiten des Free-Jazz üblich war, sein melodischer Einfallsreichtum sowie sein in Tonschnipseln vorgetragener Hip-Hop-Gesang waren etwas ganz Besonderes. Zumal sich auch seine Rhythmusmaschine – der virtuos und kraftvoll aufspielende Ralf Schmid an Klavier und Synthesizer, Veit Hübner am Bass und Torsten Krill am Schlagzeug – in sprühender Spiellaune zeigte. Da geschah ständig Neues. Verrückt im positiven Sinn.

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