Kaiserslautern Geschichten aus dem Boulevard

1930 entdeckte Siegfried Kracauer im massenhaften Erscheinen von Lebensbeschreibungen bekannter Zeitgenossen eine „neubürgerliche Kunstform“; ein Vierteljahrhundert später tat Leo Löwenthal das Phänomen als „Mode“ ab. Vielleicht haben die beiden Soziologen geahnt, dass in einer Zeit wie heute, die jeden dummdreisten Blender eilfertigst zum „Promi“ stilisiert, auch die Nachfrage nach Biografien von Projektions-, Leit-, Hass- oder Identifikationsfiguren steigt. Ein kleiner Überblick über neuere Schauspieler-Biografien.

Es darf unterstellt werden, dass ein Mensch erst dann historische Bedeutung erhält, wenn die Nachgeborenen sein Leben, Schaffen und Nachwirken recherchiert und klassifiziert haben. Wer so lange nicht warten und die Sache selbst in die Hand nehmen will, greift auf die Dienste von Ghostwritern und „Books-on-Demand“-Verlagen zurück, die über Ausdrucksvermögen, Zeichensetzung, Orthografie und Semantik ebenso hinwegsehen wie über die inhaltliche Substanz. Neben Politikern, Sportlern, spirituell Erweckten, selbsterfahrenden Heilssuchern sowie bestürzend kurzlebigen „Superstar“-Narzissen beiderlei Geschlechts lassen naturgemäß vor allem Schauspieler eine breite Leserschaft erwarten. Auf den Markt geworfen werden indes häufig hektisch zusammengeschusterte Schnellschüsse, deren Schlichtheit selbst hingebungsvollsten Bewunderern unangenehm ins Auge sticht. So war der große Humorist, Zeichner, Schauspieler und Menschenkenner Loriot (1923-2011) kaum begraben, als der für nicht eben tief schürfende Bücher über Film- und Entertainment-Stars berüchtigte Riva-Verlag das Opus eines pseudonymen „Journalisten“ veröffentlichte, der für Recherche und Niederschrift angeblich „monatelange Kleinarbeit“ geleistet hatte, die ihm aber eine „Herzensangelegenheit“ war. Außer vielen biografischen Lücken und um so mehr Loriot-Zitaten, deren inflationäre Verwendung alsbald die Gerichte beschäftigte, hatte das laut Verlagswerbung „unverzichtbare Werk“ indes nichts zu bieten. Umso erfreulicher ist der liebevolle Erinnerungsband „Der Glückliche schlägt keine Hunde“ (Aufbau-Verlag, 19,99 Euro), dessen Untertitel „Ein Loriot-Porträt“ der Zurückhaltung des Meisters ohnehin eher entspricht. Geschrieben hat es der Filmemacher, Komödienregisseur und Komik-Experte Stefan Lukschy, der lange und eng mit ihm befreundet war. Dennoch ist keinesfalls das Fehlen „kritischer Distanz“ zu bemängeln, zumal Lukschy neben Anekdotischem auch bislang unbekannte, wehmütig-stille Saiten anschlägt – und überdies zahlreiche weitere Bewunderer und/oder Kollegen zu Wort kommen lässt. Sein Buch, für das der Autor auf seine Tagebuchaufzeichnungen zurückgriff, ist eine informative und sehr warmherzige Hommage. Es handelt sich zwar nicht um eine fußnotenreiche Biografie im wissenschaftlichen Sinne, aber sie lässt keine Wünsche offen. Uneingeschränkt empfehlenswert ist auch die erste Buchveröffentlichung über den großen Film- und Bühnenschauspieler Paul Dahlke (1904-1984). Sie erscheint bezeichnenderweise in einem Verlag, der seine Autoren in die Finanzierung eines Buchs einbindet. Das mag nicht jeder Bücherschreiber gutheißen, aber immerhin hat besagter Kern-Verlag mit dem Ufa-Star Renate Müller bereits eine andere Ikone des klassischen deutschen Films der Vergessenheit entrissen. Exakt diese Epoche ist das Spezialgebiet des Autors Rüdiger Petersen, seines Zeichens Lehrer, Literaturwissenschaftler und „Sammler von Schauspieler-Biografien“, wie der Verlag verkündet. Er hat sie augenscheinlich aufmerksam gelesen, denn sein Buch „Paul Dahlke“ (Kern-Verlag, 26,90 Euro) ruft dem Leser die seelenvolle Urwüchsigkeit des Charakterdarstellers plastisch in Erinnerung. Dahlke gehörte zu jener traurig kleinen Gruppe echter Volksschauspieler, die sich direkt ins Herz ihres Publikums spielten und dennoch alles konnten. Nichts an seinem Darstellungsstil war gekünstelt oder künstlich, pathetisch oder outriert, zu dick aufgetragen oder zu tief aus der Kiste des Emotionalen hervorgeholt. Petersen, der den Nachlass des Mimen einsehen konnte, beschwört genau diese Qualitäten herauf. Etwas Besseres lässt sich über eine Schauspieler-Biografie nicht sagen. Leider beschränkt sich das Verzeichnis von Dahlkes Theater-, Film- und TV-Auftritten auf die Titel. In den Lebenserinnerungen der gerade 67 Jahre alt gewordenen Schauspielerin Ingrid Steeger – Titel: „Und find′ es wunderbar“ (Lübbe-Verlag, 19,99 Euro) – fehlt ein Werksverzeichnis ganz. Es ist bereits die zweite Autobiografie der Berlinerin, die durch diverse Nackedei-Filme und „Schulmädchen-Reports“ bekannt und anschließend von ihrem damaligen Liebhaber Michael Pfleghar in der Fernsehshow „Klimbim“ als Sex-Ulknudel lanciert wurde. Nach vielerlei privaten Kümmernissen und wirtschaftlichen Nöten gehört sie inzwischen zu den populärsten Stars des Boulevardtheaters. Da die Boulevardpresse ihren Lebensweg seit vier Jahrzehnten mal mit Überschwang, mal mit Häme, aber stets mit großem Interesse begleitet, macht Steegers eigener Blick auf die Höhen und Tiefen ihrer Karriere neugierig. Bei Letzteren verlässt sich ihre Ko-Autorin Sibylle Auer arg auf die tränenreiche Wirkung eines melodramatisch-larmoyanten Heftroman-Stils. Gleichwohl blitzen bei aller rührseligen Wehmut stets sanfte Komik und Herzlichkeit auf. Insofern ist das Buch nicht nur Lebensbeschreibung, sondern ein wenig auch Lebensratgeber, zumal die Aktrice trotz vieler verletzender Schlagzeilen auf Nachtreten ebenso verzichtet wie auf „Enthüllungen“ zu Lasten Dritter. Schauspieler-Biografien wie diese darf es mithin öfter geben. Und angesichts des exhibitionistischen Bekennerdrangs, der diese Gattung kennzeichnet, warten Film-Nostalgiker ja noch immer auf gut geschriebene Vitae, die der Buchmarkt bisher nicht wahrgenommen hat. Warum zum Beispiel gibt es keine Bücher über – wir gehen chronologisch rückwärts – Ellen Schwiers, Helmut Griem, Bruno Ganz, Karin Dor, Cornelia Froboess, Eddi Arent, Ruth Stephan, Ralf Wolter, Nadja Tiller, Peter van Eyck, Carl Raddatz, Dieter Borsche, Rudolf Prack, Maria Andergast, Lucie Englisch, Rudolf Platte und und und? Die Antwort wüssten wahrscheinlich nicht einmal die Herren Doktoren Kracauer und Löwenthal.

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